CD-Reviews

Despair

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Dieser Thread ist als Weiterführung des "Musik-Threads" aus dem PCPP-Forum gedacht. Ich hoffe, er findet hier mehr Anklang. ;)

Wenn ihr eine CD-Review verfasst habt, postet sie hier. Ich mache mal den Anfang.

The Gathering - Home

Mit dem neuen Album „Home“ habe sich die HolländerInnen selbst übertroffen. Die Songs sind experimenteller als je zuvor, trotzdem fräsen sich die Melodien von Sängerin Anneke van Giersbergen schon nach dem ersten Hören ins Gehirn. Neben der überragenden Gesangsleistung, die teilweise etwas an Tori Amos erinnert, fällt die Vielschichtigkeit der Songs auf – jedes Stück klingt vollkommen eigenständig und lässt jegliche kommerziellen Strickmuster außen vor. Die Grundstimmung des Albums wirkt depressiver und düsterer als früher, doch zwischendurch blitzt immer wieder ein Funken Hoffnung durch.

Wenn man den eingängigen, aber auch etwas unspektakulären Opener „Shortest Day“ hinter sich gebracht hat, folgen ausnahmslos Ohrenschmeichler, wie man sie nur selten zu hören bekommt. Erster Höhepunkt ist „Waking Hour“, das enorm positiv rüberkommt und bei dem Annekes Gesang schon fast Kate Bush-artige Höhen erreicht. Nach den tieftraurigen, aber nicht minder schönen Songs „A Noise Severe“ und „Forgotten“ folgt mir „Solace“ der sperrigste Track des Albums: wummernder Beat und Samples in mehreren Sprachen – das klingt äußerst gewöhnungsbedürftig! Es folgen das flotte „Your Troubles Are Over“ und das entspannt-sphärische „Box“. Der sehr emotionale Titeltrack „Home“, der dem kürzlich verstorbenen Vater zweier Bandmitglieder gewidmet ist, bildet zusammen mit dem Hidden-Track „Forgotten Reprise“ (kann es einen besseren Ausklang als Kirchenglocken geben?) einen würdigen Abschluss dieses exzellenten Albums.

2006 klingen The Gathering wie eine Mischung aus Radiohead, Tori Amos und aktuellen Anathema. Mit Metal hat das natürlich rein gar nichts mehr zu tun. Wer auf konventionelle Songstrukturen pfeift und Pink Floyd-artigen musikalischen Abfahrten etwas abgewinnen kann, muss zuschlagen. Endlich mal wieder ein progressives Album, dass die Bezeichnung „progressiv“ auch wirklich verdient, und sich nicht damit begnügt, bereits Dagewesenes wiederzukäuen.

10/10 Punkte
 
Nice Idea - Nice Review! Hab mir auch schon überlegt, mir von denen was zuzulegen...

Ich mach denn auch mal weiter. Ist ein älteres, importiertes Review von mir, deswegen die äußere Form.

Dredg
Catch Without Arms

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Technische Daten
Vertrieb: Interscope Records
Laufzeit: 55:18 Min.
Anzahl der Tracks: 13
Extras: Keine
Booklet: 16 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
Perspective I
1. Ode To The Sun
2. Bug Eyes
3. Catch Without Arms
4. Not That Simple
5. Zebraskin
6. The Tanbark Is Hot Lava
7. Sang Real
Perspective II
8. Planting Seeds
9. Spitshine
10. Jamais Vu
11. Hung Over On A Tuesday
12. Matroshka (The Ornament)
Bonus Track
13. Uplifting News

Kritik
Dredg sind unfassbar ungreifbar in ihrem Wesen. Als 1998 das Debüt “Leitmotif” erschien, kontrastierten sich bereits die Reaktionen auf dieses Album mit dem nicht minder seltsamen Titel als derjenige der Band selbst. An Kunst, bevorzugt Malerei orientierte Klangcollagen, surreale Textkreationen machten es schwer, die Kalifornier in eine irgendwie etikettierte Schublade zu verfrachten. Und mit der Ungreifbarkeit ist keine derartige wie die von Tool gemeint, denn die sind bei all ihrer Komplexität immer noch auf eine Basis zurückzuführen. Will man jedoch Dredg vergleichen, so muss man schon Fragmente von anderen Bands verwenden, beinahe schon einzelne Riffs oder Klangfolgen. Alles gröbere wäre ein Frevel an der Einzigartigkeit, der Weigerung, sich den gängigen Schemata zu unterwerfen - und es ist kein bewusstes Streben gegen diese Schemata, es scheint ein aus sich selbst verlaufendes Prozedere zu sein. A-Ha werden immer mal wieder als Vergleich herangezogen, Prog-Rock-Bands wie Porcupine Tree lassen sich hier und da auch immer mal wiedererkennen, ergo auch Floydsche Psychedelic Moments. Der Vergleich zu Tool hinkt da schon stärker, denn wenn schon Maynard Keenan, dann eher A Perfect Circle, die speziell auf ihrer “Thirteenth Step” einige Momente hatten, die zumindest annähernd Dredg gleichkamen.

2002 erschien das bei Kritikern vielumjubelte “El Cielo” - der Durchbruch für die künstlerische Anerkennung war geschafft, obwohl man sich, Interscope sei Dank, auf Touren eher “primitiven” Nu Metal-Bands wie 4Lyn und Alien Ant Farm anschließen musste, die nun wirklich überhaupt nichts mit den künstlerischen Sphären von Dredg zu tun hatten. Und das gibt auch viel vom einhorngleichen, scheuen Wesen der Band her - sie scheut sich zu zeigen, was sie eigentlich ist, sie steht nicht gerne im Mittelpunkt. Ihre Schönheit soll zwar erfasst werden, aber immer auf einer unnahbaren Distanz. Der Effekt ist ein Kontrast - der Kontrast zwischen Komplexität und Einfachheit, zwischen Intention des Künstlers und Adaption des Kunstliebhabers.

Mit dem dritten regulären Album “Catch Without Arms” nehmen sich Dredg dieser Thematik nun vollends an durch ein Album, das gleich von Beginn an eingängiger konzipiert zu sein scheint, simpel und schön, einfach und gut. Es ist dieser Kontrast, den man in der Zeit von “Leitmotif” und “El Cielo” kennen gelernt hat. Die Frage ist: Inwiefern ist Kunst von ihrem Echo abhängig? Sollte es in der Erstellung durch den Künstler mit einfließen, ob und wie der Endrezipient das Resultat am Ende aufnehmen wird? Dredg sind der Meinung: Nein. Deswegen der Titel: Catch Without Arms. (Emp-)Fange dieses Album ohne deine Arme. Wir nehmen dir deine Arme, die Möglichkeit, etwas an unserem Werk zu kritisieren... du sollst einfach nur zuhören. Deine Ohren haben wir dir nicht genommen. Einfach nur zuhören und die Musik auf dich wirken lassen, ohne das Werk in einer Rückprojektion doch noch zu beeinflussen.

Folglich sind die 12 Songs (plus 1 Bonustrack) aufgeteilt in zwei sich konterkarierende Akte, von Dredg selbst “Perspectives” genannt - offensichtlich handelt es sich um zwei Sichtweisen und einen Kommunikationskanal.

Die Sprache nennt sich Eingängigkeit; eine Annäherung an den Mainstream, die diesmal vollkommen Sinn macht. Denn in einer Kommunikation bedienen sich zwei Lebewesen eines Werkzeugs, das sie gleich gut bedienen: der Sprache. Wollen Dredg also nun in Kommunikation treten mit dem Hörer und dabei klar und direkt sein, so müssen sie sich von ihren einstmaligen komplexen, schwer schlüssigen Soundcollagen lösen und sie gegen eingängige Poprefrains eintauschen. Fakt ist: Dieser Schritt hat sich nicht im Prozess ergeben, sondern war er Gavin Hayes zufolge von vornherein beabsichtigt. Er ist ein bewusster Pinselstrich im Gemälde.

Trotz dieses großen Schrittes sind es zweifellos immer noch Dredg, die hier musizieren. Himmlischer, fast ätherischer Gesang verlässt Gavin Hayes Kehle und trifft in der Luft auf brüchige Gitarrenzitterer, die sich manchmal, ganz kurz, in Metal-Riffs verwandeln - ein Piano sorgt für dichten Sound in der Breite. Die Komplexität ist immer noch da, nur die Arrangements haben sich geändert. Waren “Leitmotif” und gar noch mehr “El Cielo” sich windende Äste und Verzweigungen eines kahlen Herbstbaumes, gefangen in der puren Schönheit eines Dali-Gemäldes, so ist “Catch Without Arms” der gleiche Baum zur Sommerzeit, erblüht zu einer grün-braunen, vollen, dichten Einheit.

Den Melodien ist auf Anhieb besser zu folgen, als dies in den vorangegangenen Alben der Fall gewesen ist. Man möchte einfach einem Sonnenuntergang entgegensehen und den engelsgleichen Leitlinien folgen, die für sich betrachtet nichts Verspieltes an sich haben, in ihrer Wirkung aber so unmissverständlich sind, wie sie nur sein können. Sie treiben den Hörer vorwärts, versorgen ihn mit Input, ohne von ihm einen Output zu verlangen. Zeuge dessen ist man direkt beim Opener “Ode To The Sun”, dann auch der darauf folgenden ersten Auskopplung “Bug Eyes”, das mit einem Refrain aufwartet, der das Gefühl der Sehnsucht hervorruft - wonach, bleibt zweitrangig.
Zwischendurch sorgen relaxte Einleger (“Zebraskin”) für die nötige Ruhe und Gelassenheit, um sich im sanften Grün des Albums zu verlieren. Den Übergang zur “Perspective 2" markiert an siebter Stelle mein persönliches Albumhighlight “Sang Real”, dessen Dichte unbeschreiblich ist, sprichwörtlich Alpha und Omega in sich vereint. Dumpfe Pianoklänge, rhythmische Snares und zuletzt Hayes’ unbeschreibliche Gesangslinie beenden das erste Kapitel, um sogleich ein neues aufzuschlagen.

Dessen Start mag man vielleicht dann auch als den Schwachpunkt des Albums bezeichnen, sofern ein solcher auszumachen ist. Während “Planting Seeds” relational eher uninspiriert daherkommt, kämpft “Spitshine” mit zu ordinären Akkorden und dem Ausbruch aus dem Muster, zwar mit Eingängigkeit zu überraschen, sich aber die Einzigartigkeit beizubehalten - in diesem Teil vermutet man manchmal tatsächlich gewöhnliche Radiomusik. Jedoch steigert sich die zweite Hälfte bis zum Ornament “Matroshka” durchgängig und verleiht dem Gesamtkonzept damit sogar so etwas wie Dramaturgie.

Im Gesamten ist man Dredg jedenfalls zum dritten Mal zu Dank verpflichtet. Die Weiterentwicklung hat sich zweifellos gelohnt. Als klar zugänglichstes aller drei Alben versprüht “Catch Without Arms” dennoch eine eigenwillige Atmosphäre, die dazu einlädt, einfach nur dahinzugleiten und sich der Musik, der Kunst, zu fügen. Zwar blieb der Lohn nicht ohne Opfer - viele wundervolle Zutaten aus “Leitmotif” und “El Cielo” blieben außen vor. Es ist etwas verlorengegangen, weshalb die Frage, welches das beste Album ist, nicht definitiv beantwortet werden kann. Doch manchmal muss man im Namen der Kunst Dinge opfern. Das ist hier geschehen, und es ist gut so.
8/10

Extras
Extras im eigentlichen Sinne sind nicht vorhanden; lediglich den Bonustrack kann man als Extra betrachten, da er nicht der dualen Konzeption des Albums angehört.
0/10

Artdesign
Sänger Gavin Hayes und Bassist Drew Roulette, beides Kunstliebhaber, erschufen selbst das Artwork für ihre neue CD, veröffentlichten ihre Arbeiten gar in Kunstmuseen. Das Artwork besticht mit betont reiner Simplizität und glasklarer Symbolik in Form des Bandlogos, Tieren, Menschen und Hybriden, deren Aufgabe es ist, Leben, Tod und Fruchtbarkeit darzustellen. Ein in Idee und Darstellung rundum der Konzeption des Albums dienendes und darüber hinaus optisch höchst angenehmes Design.
8/10

Fazit
“Catch Without Arms” schafft auch für mainstreamorientierte Hörer einen wunderbaren Blick in die Welt von Dredg. Auf Anhieb eingängig, verliert das dritte Album der Kalifornier mit zunehmender Laufdauer doch nichts von seiner Faszination, denn dies ist wahre Kunst, und Kunst ist unvergänglich. Bezüglich der Frage, welches Dredg-Album das beste ist, wird wohl niemals eine definitive Antwort gegeben werden.

Testequipment
AIWA NSX-SZ315

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Dredg
El Cielo

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Technische Daten
Vertrieb: Interscope Records
Laufzeit: 57:16 Min.
Anzahl der Tracks: 16
Extras: Keine
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. Brushstroke: Dcbtfoabaaposba
2. Same Ol' Road
3. Sanzen
4. Brushstroke: New Heart Shadow
5. Triangle
6. Sorry But It's Over
7. Convalescent
8. Brushstroke: Walk In The Park
9. Eighteen People Living In Harmony
10. Scissor Lock
11. Brushstroke: Reprise
12. Of The Room
13. Brushstroke: An Elephant In The Delta Waves
14. It Only Took A Day
15. Whoa Is Me
16. The Canyon Behind Her

Kritik
El Cielo - Der Himmel. Ein Bett ziert das eine Cover, ein strahlender, blauer Wolkenhimmel das andere. Harfen und Engel bilden ein Triptychon.

Brushstroke: Dcbtfoabaaposba sorgt für die ersten Geräusche. Wasser gluckert. Wir befinden uns in einer Kapelle. Wie ein Schall stimmt Gavin Hayes die ersten Höhen an, kommt daher wie ein Priester, der die ganze Welt beschwört, zuzuhören. Wir merken an: Das Konzept des Albums wird hier deutlich gemacht. Dcbtfoabaaposba ist ein Acronym für das Dali-Bild “Dream Caused By The Flight Of A Bee Around A Pornegranate One Second Before Awakening”- Ein Traum, verursacht durch den Flug einer Biene rund um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Erwachen. El Cielo referiert auf die surreale Kunst, sie ist das Konzept der Band, deren Mitglieder teilweise selbst künstlerisch tätig sind.

Nun sind wir beim Album angelangt. Das Booklet offenbart uns zu jedem nicht-instrumentalen Song den Brief eines Schlafgestörten, der über seine Träume und seinen Wachzustand berichtet. Was wir nun hören, sind Fragmente dieser Briefe, poetisch zu einer künstlerischen Einheit gemacht, experimentalisiert, ausgearbeitet.

Same ol’ road stellt den Auftakt. Here we go, down that same ol’ road again, leitet Hayes den ersten Brief ein. Paralyse, hypnotische Beschwörung des Hörers, der sich in einer immer wieder neu ablaufenden Spirale befindet. Ein Gespür für kleinste Partikel bildet sich - das besingt Hayes mit seinen Vocals, das verbildlichen Mark Engles an der Leadgitarre, Dino Campanella an Schlagzeug und Piano (die er gleichzeitig bedient - so berichteten Zeugen der Konzerte) sowie Drew Roulette am Bass.

Sanzen. Schlafparalyse, wiederkehrende Träume. Ein Mann, der merkt, dass er in einen Schlafzustand fällt, wenige Sekunden bevor es passiert. Hold on, so die Aufforderung Hayes’, die er in einem Refrain zum Dahinschmelzen verkündet. Die Gitarren flackern wie ein heller Schein, kurz vor dem Ohnmächtigwerden, das in einem sanften Interlude eingefangen wird.

Brushstroke: New Heart Shadow. Groovendes, traumartiges Zwischenspiel.

Ein Triangle, ein Dreieck ersetzt symbolisch den fünften Titel des Albums. Ein Mann, der einstmals großer Industrial-Fan war, vernimmt einen dröhnenden Schall, der ihn an Rotoren erinnert. Im Herzstück des Songs ertönt ein schallendes Geräusch, ausgehend von einer Triangel, anschwellend, steigend, jenes Geräusch symbolisierend, das der Mann vernahm, bevor er dachte, er müsse sterben. We live like Penguins in the Desert, why can’t we live like tribes?, wiederholt Hayes, eine Botschaft, die uns bereits auf dem Vorgänger “Leitmotif” auf dem Cover begrüßte. Kritik an der Fortentwicklung des Menschen, eine direkte Verbindungslinie zur Schlaflosigkeit.

Sorry, but it’s over. Eine Geschichte über Unterdrückung, das Verhindern des Aufbäumens. Aber: Before you go, there is something more to say. Das spektral anschwellende Gerüst des Songs, das sagt “Füge dich”, wird für einen Moment gebrochen, um innezuhalten, in die Spektralwelt überzugleiten. Dort findet er Ruhe.

Convalescent. Beginnend fast wie “No one knows” von den “Queens of the Stone Age”, dann in einen treibenden Strom übergehend, der dem Abgehackten ein Ende macht. It’s the only way to understand it.

Brushstroke: A Walk in the Park. Das Piano erklingt, kurz darauf fügen sich Streicher dazu. Der Weg durch den nassen Herbstwald ist nur ein Traum. Nichts davon ist Realität. Der Träumer merkt dies, die Streicher werden ausfallend, schräg, verschroben - doch der Traum wird zu Ende geträumt.

Eighteen People Living in Harmony. Über einen Menschen, der sich in die Abhängigkeit begab. Alkohol, Amphetamine. Er ist orientierungslos. Das Songkonstrukt ist schizophren, Dino Campanella wechselt mehrfach den Rhythmus, mit ihm wechselt sich die Stimmungslage. Mal melancholisch, mal hoffnungslos, dann optimistisch und schließlich die Problematik aggressiv angreifend. Dann ist alles gut.

Scissor Lock. Weißes Rauschen, das immer mehr Überhand nimmt. Hayes übernimmt das im Brief beschriebene Phänomen, spielende Kinder wie durch ein Radio zu hören.

Brushstroke: Reprise Same ol’ road wird wieder aufgegriffen: Here we go, on that same ol’ road again - das Phänomen wiederholt sich mit einem dumpfen Ton, der sich in klares Gitarrenspiel verwandelt.

Of the Room. Drei Akkorde, einer höher als der andere. Die Triangel ist wieder mit von der Partie. Cloudy senses stay alive - Gavin Hayes bricht zwei sich abwechselnde weitere E-Gitarren-Akkorde mit dem ganzen Spektrum seines Könnens. Ende des zweiten Drittels dann der erste richtige Metal-Riff, der aggressive Klimax der Platte.

Brushstroke: An Elephant in the Delta Waves. Indisch anmutende Klänge, Chorgesang, der dem “Gladiator”-Theme entsprungen zu sein scheint.

It only took a day. Der rockigste und zugleich depressivste Song des Albums findet drei vor zwölf statt. Der treibendste und vielleicht beste ist es zugleich. Stets schneiden sich zwei direkt nebeneinanderstehende Noten und erschaffen ein Zerrbild von Harmonie. Lie Awake - das Konzept von “El Cielo” auf einen Punkt gebracht.

Whoa is me. Der Verlust der Identität, die Suche nach dem Bewusstsein. Shine with silence. Schräge Trompetentöne mischen sich unter die Melancholie des mitreißenden Refrains, jazzige Töne beenden den Song.

The Canyon behind her - Das Ende. Der Titel des letzten Briefs und die abschließende Frage lautet: Does anybody feel this way? Does anybody feel like I do?
Sometimes...

Die Kritiker überschlugen sich zu Recht vor Begeisterung: “El Cielo” erschafft eine Welt aus Träumen und Alpträumen, Wach- und Schlafzuständen. Das erste Dredg-Album unter Interscope lebt von seinen schier unendlich erscheinenden Landschaften, den immer weiter führenden Verzweigungen, ausgehend von Briefen Schlafgestörter, weiterreichend bis hin in eine globale Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen und seinem Bewusstsein. Das Konzept ist einmalig, die Umsetzung geht in die Tiefe, wie es leider allzu selten der Fall ist. Gemäß ihres Bandnamens “graben” Hayes & Co. wahrhaftig nach der Bedeutung ihres Werkes in einem schier unendlichen Handlungsbereich. Dem Himmel.
9/10

Extras
Extras sind leider nicht auf der CD enthalten.
0/10

Artdesign
Der Wechsel zu Interscope hatte insofern optische Konsequenzen, als dass es leider kein Digipack mehr gibt, dafür aber trotzdem wieder ein gut durchdachtes Coverartwork. Der fast schäbige Lederlook der Front umfasst in einer Rahmung ein Bett, das von zwei zum Teil engelsartigen Harfen sowie zwei Pflanzen flankiert wird. Die Disc selbst wirkt wie eine glitzernde Fläche, die zum Teil von Sand bedeckt ist - nicht nur deswegen eine konsequente Weiterentwicklung zum Look des ersten Albums. Eine Fläche gibt den Himmel und seine Wolken preis, geziert von Triangeln, denen auf dem Album viel Bedeutung zukommt. Das Booklet ist gepflastert mit handschriftlich verfassten Briefen, mit denen sich jeweils ein Song befasst, der nicht gerade ein “Brushstroke” im Namen trägt. Mal eine etwas andere Art der Darstellung der Lyrics.
7/10

Fazit
Insgesamt deutlich sanfter als der teilweise harte Vorgänger, schaffen Dredg mit “El Cielo” nun endgültig den künstlerischen, aber auch kommerziellen Durchbruch. Seit 2002 stieg der Bekanntheitsgrad der Band enorm, und als 2005 “Catch Without Arms” erschien, warteten bereits Anhänger in aller Welt auf das neue Werk. Diesen Status haben sich Dredg mit diesem Werk mehr als verdient: “El Cielo” ist wahrhaftig ein Dali, transportiert in ein anderes Medium für Kunst, eine surreale Verzweigung von Gedanken und Metaphern, eine Mehrdeutigkeit des zu Interpretierenden, aber auch reine Schönheit, die sich vielleicht nicht von Beginn an, aber doch mit der Zeit jedem offenen Hörer erschließt.

Testequipment
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Oceansize
Everyone Into Position

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Technische Daten
Vertrieb: Beggars Banquet Records
Laufzeit: 69:40 Min.
Anzahl der Tracks: 10
Extras: Keine
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. The Charm Offensive
2. Heaven Alive
3. A Homage To A Shame
4. Meredith
5. Music For A Nurse
6. New Pin
7. No Tomorrow
8. Mine Host
9. You Can't Keep A Bad Man Down
10. Ornament/The Last Wrongs

Kritik
Was Oceansize sich gleich von Beginn an selbst an Last auferlegt haben, ist nahezu beispiellos in der Rockhistorie. “Effloresce” klang nach allem, nur nicht nach einem Debüt. Sicherlich, die Inspirationen waren erkennbar. Tool, A Perfect Circle, Nine Inch Nails. Pink Floyd. Vielleicht sogar etwas Porcupine Tree. Ebenso war aber die Eigendynamik erkennbar, eine hermeneutische Spirale der Tiefe von epischen Klangkompositionen als solchen. Oceansize, das beschreibt ein undurchdringbares Volumen, welches, will man ihm auf den Grund gehen, unzähliger Durchläufe bedarf, um es auch nur annähernd erfassen zu können..
Im Kontrast dazu Mike Vennarts kristallklare Stimme, die sich deutlich von dem abhebt, was ein James Maynard Keenan (Tool), ein Trent Reznor (NIN), ein Gavin Hayes (Dredg) vorgelegt haben - freilich nicht qualitativ, aber doch stilistisch. Oceansize ist ein dichter Hybrid aus Pop und Indie, er bedient sich beider Sphären, um das Beste aus ihnen für die eigenen Zwecke zu extrahieren.

Die Weiterentwicklung, die Metamorphose ist ein zentrales Thema auf den Ebenen, über welche die fünf Musiker aus Manchester hinweggleiten. Das eigenwillige Zusammenspiel der Instrumente von der aggressiven Gitarre über die Percussions zu den Synths zu orchestralen Elementen setzt sich dadurch zu einem erst schwerlich durchdringbaren Gesamtkunstwerk zusammen, dass die einzelnen Fragmente sich ablösen, um den roten Faden immer weiterzureichen.

Nach dem grandiosen Debüt war nun natürlich die größte Sorge, diese Weiterentwicklung sei nicht mehr gewährt. Mag generell das dritte Album der Knackpunkt einer Band sein, muss es aufgrund der ungewöhnlichen Reife in diesem Falle schon “Everyone into Position” sein. Zumal sich der Musikstil, der von Oceansize verfolgt wird, minimal Richtung Mainstream orientiert hat; Alben wie Dredgs “Catch Without Arms”, letztlich aber auch Oceansize selbst erfreuen sich auch in der Breite schon größter Beliebtheit. Vielleicht auch ein wenig, um der Verdummung durch banale Seichtheit entgegenzuwirken, die sich wie eine Pest an der Spitze der Maincharts festgesetzt hat: Denn dies hier ist höchste Kunst, und selbst eine relativ gesehen herbe Enttäuschung wäre immer noch die qualitative Speerspitze der Musik, die in der Breite gehört wird.

Und tatsächlich wurde das zweite Album, vermutlich in Anbetracht der strahlenden Größe von “Effloresce”, von den Kritikern angegriffen, wenn auch nicht in der Luft zerrissen. Die Klangkompositionen erschienen zu eingängig, zu adaptiv, schienen tatsächlich die Variabilität vermissen zu lassen, mit welcher der gewaltige Vorgänger glänzte, das Medium CD bis zum Anschlag ausreizte und es nahezu sprengte. Es fehlte offenbar wirklich eine Weiterentwicklung, eine Emanzipation vom Erstling, an den man noch zu viele Zugeständnisse machte und zu dem man zu viele Brücken baute.

Nach etwa fünfzehn Durchgängen kann ich nun von einem komplett anderen Album berichten. Der erste Durchlauf war ein Erlebnis, das dem von “Effloresce” in nichts nachstand, und kaum etwas hat sich an dieser Einschätzung geändert. Sicherlich, die festgestellten Parallelen sind da, in “A Homage to a Shame” glaubt man sogar, kurzzeitig kompositorischen Selbstklau festzustellen - doch ist es das nicht, was schon “Effloresce” ausmachte? Oceansize besteht nun mal nicht aus autarken Einzelfragmenten; jene Fragmente sind viel mehr interdisziplinär aufeinander abgestimmt und entwickeln sich erst durch die Interaktion mit dem, was vorher da war. Und wie soll es nun Weiterentwicklung geben, wenn man “Effloresce” vollkommen ignoriert? Die Parallelen dienen vielmehr als Antriebsfeder, um sich abzustoßen.
Das Vorhaben gelingt. “Everyone into Position” ist deutlich konsequenter, lässt Gitarrengewitter auf den Hörer einkrachen, um ihn unmittelbar darauf in ruhigen Klanggemälden gefangenzunehmen. “A Homage to a Shame” gehört neben einigen Passagen aus dem 5-Song-Vermittlungspool “Music for a Nurse” zum Härtesten, was Oceansize bislang hervorgebracht haben, bevor nur zwei Tracks später mit “Music for a Nurse” auch eine inhaltliche Referenz an das EP-Zwischenspiel erfolgt. Die Klänge sind hier simpel, leicht und klar, eingebettet in schwelgende Sanftheit und sich gemächlich Zeit nehmend, um jede einzelne Note in einem Raum von etwa zwei Sekunden stehen und für sich selbst sprechen zu lassen, schließlich durch ein anderes Instrument noch mit einem Echo zu untermalen. Mit “New Pin” und “No Tomorrow” folgen dann zwei eingängige Popstücke, bevor mit der abschließenden Song-Trilogie einmal mehr ein Höhepunkt gesetzt wird, der erstmal in Zukunft übertroffen werden muss. Hier erhebt sich die Band in Gefilde, bei denen man normalerweise nicht nur Übermut, sondern auch gnadenlose Selbstüberschätzung feststellen müsste - wäre die Musik nicht so dermaßen perfekt. Für das grandiose Finale wird sogar ein ganzes Kirchenorchester aufgebahrt. Es löst die Rockelemente ab, die sich langsam in einem Fade Off verabschieden, während wir perplex mit den letzten Tönen einer Kirchenorgel alleine gelassen werden.

Sicherlich fehlen im Endeffekt, betrachtet man das Album für sich alleine stehend, ein wenig die sich überschneidenden Grenzen, welche den Vorgänger zu einem einzigen Gemälde von undurchdringlicher Intensität machten. “Everyone into Position” bietet vielmehr einzelne Stücke, und das war das Hauptangriffsziel einiger Kritiker, zumal man diesen Schritt auch als Zugeständnis an den Mainstream und damit an die Kapitulation vor ihm interpretieren kann. Bezieht man jedoch “Effloresce” mit ein, ergibt sich ein wunderbares Spiel aus Bezugnahme und Weiterentwicklung. Ich bin nicht geneigt, zu sagen, das zweite Album der Engländer sei das bessere; nahezu gleichwertig ist es aber allemal.
10/10

Extras
Leider sind keinerlei Extras auf der Scheibe enthalten; da die Laufzeit jedoch wie schon beim Vorgänger die Grenzen der CD auslotet, ist das durchaus zu verschmerzen.
0/10

Booklet
Zunächst einmal irritieren die Motive, die sich Seth Design für das Artwork des Oceansize-Zweitlings ausgesucht hat. Der Mann im Anzug mit dem explodierenden/brennenden Kopf und den Bahnsteigen als Hintergrund verträgt sich nicht mit der Epik, die schon der Bandname mit sich trägt. Während das "Effloresce"-Artwork nämlich eine Symbiose mit dem Bandnamen einging und damit den Musikstil als solchen in den Vordergrund schob, erweist sich "Everyone in Position" schon durch Titel und Design als Konzeptalbum, das den Inhalt in den Vordergrund setzt. Da sich dieser auch mit gesellschaftskritischen Aspekten auseinandersetzt, ist die Arbeit sicherlich gelungen; auch optisch erscheint die collageartige Anordnung der Einzelteile äußerst ansprechend, ebenso wie die Farbeinteilung zwischen Weiß und Orange.
Das Booklet ist zwölfseitig und präsentiert die Songtexte in schwer zu entziffernder Handschrift, die sich in den provisorischen Stil des Komplettdesigns nahtlos einfügt. Da gibt es keinen Grund zur Klage.
8/10

Fazit
Bewunderer der Erstlings sollten eigentlich nicht enttäuscht werden: "Everyone Into Position" verfolgt den eingeschlagenen Weg konsequent weiter, ohne sich große Schwächen zu erlauben. Auch Anhänger der Genre-Pioniere Tool und NIN dürfen gerne einen Blick wagen. Wieder sind alle Songs komplett durchhörbar, ohne dass es nennenswerte Aussetzer geben würde. Dass die Platte nicht wie Fahrstuhlmusik verwendet werden kann und Zeit und Raum braucht, um sich zu entfalten, sollte sich von selbst verstehen; dann aber entlädt sich die Intensität dieser Bombe auf Anhieb, und der Hörer weiß, warum er einmal mehr auf Oceansize gesetzt hat.

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Weiterführende Links
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Homepage von Beggars Banquet Records
Homepage des Artwork-Studios
 
Mnemic
Mechanical Spin Phenomena

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Technische Daten
Vertrieb: Nuclear Blast
Laufzeit: 61:41 Min.
Anzahl der Tracks: 10
Extras: Videoclip: "Ghost"
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case mit Pappschuber

Tracklist
1. Liquid
2. Blood Stained
3. Ghost
4. DB'XX'D
5. Tattoos
6. The Naked And The Dead
7. Closed Eyes
8. Mechanical Spin Phenomenon
9. Zero Gravity
10. Blood Stained (Rhys Fulber's Euphoric Recall Remix)

Kritik
Step right up, Ladies & Gentlemen! Take a look at fuckin’ Denmark - and watch out! It’s freakin’ Danish Dynamite!

Auf der Metal-Landkarte fristete das dänische Königreich bislang eher ein Bettlerdasein, doch in jüngster Vergangenheit sprossen Hoffnungsträger zu Massen aus dem Boden. Wer die kleinen Dänen bislang eher spöttisch beäugte und gerade beim Gedanken an Metal ein hämisches Lächeln nicht von der Fressspalte bekam, sollte schon bald eines besseren belehrt werden.
Schlängelten sich Raunchy bis zu ihrem Make it or break it-Album Confusion Bay (2004) noch etwas durch die Sphären, verlief die Spur bei der ersten großen Metal-Hoffnung Dänemarks, Mnemic, deutlich stringenter: Das Debüt “Mechanical Spin Phenomena” schoss 2003 auf Anhieb in die Höhe, griff sich gleich mal den Danish Metal Award und bekam gerade mal ein Jahr später einen kleinen Bruder: “The Audio Injected Soul” konnte man 2004 ja fast schon Mainstream nennen...

Mnemic ist eine Wortkreation, die den Versuch der Band demonstriert, sich den gängigen Schubladenzuordnungen zu entziehen. Mainly Neurotic Energy Modifying Instant Creation möchte man daraus verstanden wissen, die Deskription des Prozesses, der zum Resultat in Form eines Phänomens führt, das sich aus einer sich um die eigenen Achse drehenden Mechanik ergibt. Zu hoch? Ja, hört sich ziemlich abgehoben an, ist es aber eigentlich keineswegs. Die Semantik des Debüts ist selbstreferenziell. Der Bandname bezeichnet den Prozess - eine spontanneurotische Eigenkreation aus einem energetischen Antrieb heraus - der zu einem Ergebnis in Form des Albumtitels führt - einer mechanischen Gedankenspirale, einer Musik gewordenen Hermeneutik.“Mechanical Spin Phenomena” verspricht also, wieder und wieder gehört werden zu müssen, damit man es versteht. Und so ist es in der Tat.
Der Bandname “Mnemic” ist nämlich auch von dem griechischen Wort für “Gedächtnis” abzuleiten. Ein solches braucht man für jene hermeneutische Spirale, die hier losgetreten wird. Ansonsten bliebe dieses Monster nichts als ein silbern schimmernder Metallklumpen.

Gerne nennen Mnemic ihren Stil auch Future Fusion Metal, aber bevor es jetzt hier zu mythisch wird: All diese Begriffe flashen saumäßig, sind genial konstruiert und geben vor, innovativ zu sein, sie können ihre Wurzeln aber nicht verleugnen. Und diese Wurzeln haben im Wesentlichen zwei Namen: Fear Factory und Meshuggah.
Future Fusion Metal ist nicht neu, die Schubladen strecken bereits wieder ihre unbarmherzigen Hohlräume nach der Band aus und drohen sie zu verschlingen. Was wir hier geliefert bekommen, ist allerfeinstes Recycling der Stilelemente von Thrash-, Industrial- Sci-Fi- und Death-Metal-Ikonen. Der Geist von Fear Factory steckt in jeder metallischen Pore der neun komplexen Songs, die weniger individuell als vielmehr gebündelt auf den Zuhörer eindreschen. Wenn man sich nun noch die Riffgewitter von Meshuggah hineindenkt, erahnt man bereits, in welche Richtung man sich hier begibt.

Nun, “keine Zeit” scheint man sich hier jedenfalls gedacht zu haben und brettert drei der besten Songs des Albums gleich mal auf dessen erste drei Plätze. “Ghost” war die erste Singleauskopplung, und Nuclear Blast hat gar ein Video springen lassen (das mich überhaupt erst auf die Band anspringen ließ), wenn auch in einer etwas kürzeren Variante. Auf dem Album klingt der Song noch eine ganze Ecke dreckiger. Vocalist Michael Bogballe kommt hier kaum zum Gesang, vielmehr wippt er sich extrem stark groovend durch den Korpus des Songs, der auf dem Klimax immer wieder in erstklassiges Geshoute mündet. Derweil malträtieren Mircea Gabriel (einstmals Mercenary) und Rune Stigart die Gitarren mit steten rhythmischen Wechseln, als gäbe es kein Morgen. Kurz vor dem Ende blitzen dann noch Space-Grooves aus den Keys in den Song. Dabei sind wir gerade beim ersten Durchgang noch ganz benommen von den etwa gleichwertigen Vorgängern; “Blood Stained” ist ein vergleichsweise recht melodischer, nichtsdestotrotz halsbrecherischer Vorgänger, dem am Ende des Albums ein genialer Remix zuteil wurde, und “Liquid” ist ein Opener, wie man ihn sich nur wünschen kann.
Im Mittelteil (“DB’XX’D”, “Tattoos”, “The Naked And The Dead”, “Closed Eyes”) zeigt vor allem Drummer Rasmussen, was er drauf hat: Der Junge ist auf Speed und wird bei jedem einzelnen Song aufgepasst haben müssen, nicht die Drumsticks im Wirbel zu verlieren. “DB’XX’D” erinnert durch einen Chorwall im Hintergrund noch mit am stärksten an das Gerüst eines Fear Factory-Songs. Zwischendurch kommt Michael sogar dazu, ein paar gesungene Vocals loszulassen, wo er sich allerdings noch in der zweiten Garde befindet. Nicht, dass er in Sachen Gesang defizitär wäre, einem Burton C. Bell kann er hier allerdings lange nicht das Wasser reichen. Die Qualitäten liegen eher in seinem fliegenden Wechsel von rhythmischem Shouting und berstendem Gekreische, das teilweise geniale Hooks provoziert, die sich erst nach mehrmaligem Hören ergeben. Überhaupt, wie schon zu Beginn angemerkt, entfalten sich die Details um so stärker, je mehr Hördurchgänge erfolgen. Nach zehn Durchläufen sollte der Hörer so weit sein, den brillanten Krach zu differenzieren und zu ordnen. Und damit, was sich da ergibt, zeigt “Mechanical Spin Phenomena” dem letzten Fear Factory-Output (“Transgression”) in einem Kräftemessen junger Wilder mit müden Helden den Auspuff.

Speziell die extrem dynamische Ruhelosigkeit macht dieses Album zu einem in jeder Sekunde aufregenden Nackenbrecher. Jeder einzelne Song ist für sich bereits mehrfach gebrochen durch Tempowechsel, Speed-Differenzen, ungewöhnliche Songkonstrukte, scheinbar nicht zueinander passende Melodien. Auch dadurch bekommt man das Gefühl, einem einzigen einstündigen Komplex zuzuhören, denn so wie die Songs flüssig ineinander übergehen, bieten sie intern haufenweise Bruchstellen und sind gleichzeitig dennoch in der Lage, diese zu überbrücken und jeden Song in sich geschlossen wirken zu lassen. Das ist das eigentlich Geniale an diesem Album.

Der auf Platz 8 gesetzte Titelsong bricht das Schema durch seine hymnische Anordnung ein wenig, aber nicht ganz, da er mittendrin doch wieder die beschriebenen Brüche vorweist, wenn er halt auch auf Anhieb zugänglicher und eingängiger wirkt als seine Vorboten. “Zero Gravity” schließt mit Atmosphäre in Reinform, der Konstruktion einer industriellen Landschaft durch Synth-Effekte und einen gemächlichen Spannungsaufbau, der selbst NIN-Hörer aufhorchen lassen könnte. Damit ist das Album beendet; der “Euphoric Recall Remix” von “Blood Stained” aus dem Fundus von Rhy Fulber setzt dem Kunstwerk die Krone auf.

Man sollte ein Debüt vielleicht nicht derart euphorisch bewerten, und dieser Gedanke hing mir im Kopf, seit ich mich an das Album gewöhnt hatte. Nun, nach fast zwei Jahren, hat “Mechanical Spin Phenomena” jedoch nichts von seinem ursprünglichen Glanz verloren. Wieder und wieder landet es fast selbstverständlich im CD-Player, vermag es einfach jedes Mal, mich wieder mitzureißen, erscheint nie langweilig und ist immer wieder eine Offenbarung. Sicherlich gibt es auch Schwächen: Der Mittelteil, obgleich auch er seine definitiven Vorzüge hat, schwächelt etwas in Sachen Melodieführung, Sänger Michael ist nicht ganz so der begnadete Sänger und ganz generell ist man selbstverständlich keineswegs auf einem Niveau mit den großen Vorbildern. Auch wirkliche Innovationen oder gar Revolutionen sucht man selbstredend vergebens, weshalb die Höchstnote sicherlich nicht in den Bereich des Möglichen fällt. Ich möchte allerdings durch die extremste Annäherung an die Höchstnote bildlich machen, welche Energie in diesem Debüt einer der vielversprechendsten Hoffnungen des dänischen Metals ist. “Mechanical Spin Phenomena” ist die maximale performative Ausreizung des Möglichen - deswegen
9/10
 
(Teil 2; Beitrag war zu lang für ein Posting)

Extras
Als Extra hat man das Video zu “Ghost” beigepackt (3:41 Min.), das wohl auch seinen Anteil am Erfolg hatte. Wenigstens für mich stellte es sich als verlockender Bauernfänger heraus.
1/10

Artdesign
Das Debüt kommt (oder kam zumindest seinerzeit) in einem gewöhnlichen CD-Case, das wiederum in einem Pappschuber steckte. Das Coverartwork ist definitiv ein cooles Ding und hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass ich entgegen meiner Angewohnheiten mehr oder weniger blind zu diesem Album gegriffen habe. Fear Factory-Freunde werden sich bei diesem industriell anmutenden Motiv verbunden mit dem sehr coolen Schriftzug des Bandnamens wohl gleich wie zu Hause fühlen. Die Trackanordnung auf dem Backcover kommt auch herrlich spiralförmig, und die CD selbst wird gar mit einer rubinroten Unterseite geliefert.
9/10

Fazit
Die Formel ist ganz simpel: Wer Fear Factory zu seinen Lieblingen zählt, dürfte mit Mnemic eigentlich fast todsicher auf der richtigen Spur liegen. Die Dänen haben ihre Wurzeln zwar ganz klar im Fahrwasser der Meister und sind deswegen zweifellos eine Kopie, aber eben eine sehr gute. Alle Unentschlossenen mögen sich bitte sofort zur Hörprobe begeben, aber nicht vorschnell urteilen. Wenn man denn einen schnellen Eindruck braucht, empfehlen sich folgende Anspieltipps: Liquid, Blood Stained, Ghost, The Naked and the Dead.

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Mnemic
The Audio Injected Soul

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Technische Daten
Vertrieb: Nuclear Blast
Laufzeit: 45:32 Min.
Anzahl der Tracks: 11
Extras: Videozusammenschnitt
Booklet: 20 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. The Audio Injection
2. Dreamstate Emergency
3. Door 2.12
4. Illuminate
5. Deathbox
6. Sane vs. Normal
7. Jack Vegas
8. Mindsaver
9. Overdose In The Hall Of Fame
10. The Silver Drop
11. Wild Boys

Kritik
Das ging ja flott! Nur ein Jahr nach dem vielversprechenden Debüt “Mechanical Spin Phenomena”, dem ja nun auch einiges an Touren gefolgt haben muss, legen die Thrash-Prog-Metaller Mnemic aus Dänemark ihren Zweitling hin. Und der hat es im Vorfeld sogleich ins Interessenfeld der Masse geschafft; wohl auch mit Hilfe einer neuen Technik, die zeitweise auf dem Album zur Anwendung kommt. Und zwar handelt es sich hier um eine Art 3D-Effekt, der sich speziell über den Kopfhörer zeigt und ganz klar am stärksten in der ersten Auskopplung “Deathbox” ausgeprägt ist. So schreit Michael Bogballe dem Hörer abwechselnd ins linke und rechte Ohr, die Leadgitarre schreddert um den Hinterkopf herum und es ist fast so, als säße die Band mitten in der Hirnrinde und renne aufgeregt umher. Allerdings ist dieser Effekt über die normale Stereoanlage erstens nur schwach hörbar und zweitens überhaupt nur in “Deathbox” wirklich vertreten, von daher wollen wir diese Sache im folgenden mal außer Acht lassen.

Elf neue Songs sind es geworden, die sich hinter dem steril-weißen Cover mit der direkten Fusion des Sounds mitten ins Herz (so das Covermotiv) verbergen. Was gleich auffällt: Mnemic haben ein wenig von ihrer Progressivität verloren. “The Audio Injected Soul” ist in jeder Hinsicht eingängiger, direkter und unkomplizierter. So ist der erste Eindruck diesmal viel näher an dem, was man nach fünfzehn, zwanzig Durchläufen von dem Album hält. Ein “Einhören” in das Album wird nur bedingt gefordert. Wer nun aus dem Lager reinster Knüppelei kommt, dem wird diese Veränderung zusagen; mir persönlich, der ich eine deutliche Affinität für Bands wie Tool oder die Nine Inch Nails zeige, scheint etwas verloren gegangen zu sein, was den Erstling so besonders gemacht hatte. Man muss einfach nicht mehr herausfinden, wie welcher Song nun funktioniert, man muss ihn nicht mehr entschlüsseln, und damit fehlt die Puzzle-Aufgabe, an der ich mich beim roten Album noch so erfreut hatte. Statt dessen gibt’s nun den direkten Weg zwischen A und B: Frontalität.

Was nun nicht heißen soll, dass Mnemic stilistisch abgebaut hätten; im Gegenteil, es findet ein Ausbau des eigenen Stils statt. Schon jetzt ist es fast einfach geworden, selbst für Gelegenheits-Metaller mit Rudimentärkenntnissen, einen spezifischen Mnemic-Sound herauszuhören - erstaunlich, wo “Mechanical Spin Phenomena” nur so vor Bezügen zu Fear Factory und Meshuggah strotzte. Auch wäre es nun natürlich ein Trugschluss, würde man behaupten, diese Parallelen seien verschwunden - dennoch sprechen die Riffs eine klare Sprache und bekennen sich einzig und alleine zu dieser Band.

Weiterhin schließen die progressiven Einschränkungen nicht aus, dass sich technisch gar noch einiges getan hat. Bereits beim Opener “The Audio Injection” offenbart sich ein Anstieg der Qualitäten jener, die hier die Instrumente bedienen. Deswegen wird auch dieses Album bei den meisten Konsumenten ein langes Haltbarkeitsdatum besitzen, denn der Sound ist zwar stringent, aber nicht einfach. Die Anschlagsequenz dürfte bei Mircea Gabriel Eftemie ausschlagen wie noch selten, Drummer Brylle hat auch nichts an Dynamik verloren, und so powern sich die Songs mit einem Affenzahn durch die Lautsprecher. Ein Lied davon kann “Sane vs. Normal” singen, wahnsinnig schnell und total durchgeknallt im Sound. Insgesamt gibt es deutlich weniger langsame Passagen, keine auf plötzliche Riffgewitter vorbereitende “Preparer”, nur noch wenige sphärische Elemente; lediglich “Overdose in the hall of fame” wird zu Beginn etwas sanft angegangen. Jener Song ist es auch, der neben dem grandiosen primären Output “Deathbox” (welcher mich noch am stärksten an die geniale Frühphase von “MSP” erinnerte) im weiteren Verlauf am stärksten meine persönlichen melodischen Präferenzen ausleuchtete - etwas melancholisch, sehr rhythmisch und hypnotisierend. Der Rest entfaltet seine Qualitäten dann doch eher in mittelmäßigen bis guten Fear Factory-Anleihen. Wie gesagt, hier könnten die Vorlieben der Hörerschaft ausschlaggebend sein, ob diese Entwicklung begrüßt wird oder nicht. Der Thrash-Metal-Purist mag durchaus eine Weiterentwicklung sehen, die auch zweifellos gegeben ist. Objektiv betrachtet ist “The Audio Injected Soul” zumindest eine konsequente Fortführung des ansprechenden Konzeptes, das Mnemic von Beginn an verfolgten. Die Songs sind allesamt logisch in ihrer Abfolge und lassen im Vergleich mit dem Vorgänger ein Wachstum erkennen.

Ich muss nun zugeben, dass mir nicht alle Veränderungen gefallen haben. Neben der eingeschränkten strukturellen Komplexität gefiel mir am Erstling vor allem die düstere und ebenso coole Melodieführung sowie die kompositorische Raffinesse, die sich durch das reine Zusammenspiel der einzelnen Bandmitglieder zu ergeben schien. Davon sehe ich nun nicht mehr ganz so viel. Ganz vergrault wurde meinesgleichen allerdings nicht, ganz im Gegenteil. Mnemic sind sich selbst treu genug geblieben, dass alle, die den Erstling mochten, auch mit dem Nachfolger etwas anfangen können werden, so viel steht fest. Das abschließende, sehr intelligent eingespielte Duran Duran-Cover sagt’s ja eigentlich: Wild Boys san’s, die Dänen.
7/10

Extras
Yeah, this is an enhanced CD: Es gibt einen Videozusammenschnitt (6:36 Min.), der Studio- und Touraufnahmen sowie Behind the Scenes miteinander vereint.
2/10

Artdesign
Die CD kommt diesmal nicht im Pappschuber, dafür aber in einem weißen Jewel Case, das herrlich zu dem sterilen weißen Cover passt. Das Konzept der Band, den Zweck ihrer Musik auszudrücken, wird konsequent weitergeführt: Hier gibt es eine direkte Fusion des Sounds ins Herz. Keine hermeneutische Spirale mehr wie im Vorgänger, sondern Stringenz, wie sie eben auch stilistisch in den einzelnen Songs des Albums zur Geltung kommt.
8/10

Fazit
Konsequenter Nachfolger zu einem Klassealbum einer Band, die sich weiterentwickelt und inzwischen deutlich geradliniger agiert als früher. So könnte es gerne weitergehen; die Tatsache, dass Frontmann Michael Bogballe inzwischen ausgestiegen ist, macht dieses Vorhaben leider nicht einfach. Hoffen wir, dass es mit Ex-Transport League / B-Thong Tony Jelencovich dennoch gelingt.

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KoRn
See You On The Other Side (Limited Edition)

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Technische Daten
Vertrieb: Virgin/EMI
Laufzeit: 61:08 Min.
Anzahl der Tracks: 14
Extras: Bonus-Disc mit 5 zusätzlichen Songs (siehe Tracklist) und zwei Musikvideos
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Digipack

Tracklist
1. Twisted Transistor
2. Politics
3. Hypocrites
4. Souvenir
5. 10 Or A 2-Way
6. Throw Me Away
7. Love Song
8. Open Up
9. Coming Undone
10. Getting Off
11. Liar
12. For No One
13. Seen It All
14. Tearjerker

Bonus-Disc:
1. It's Me Again
2. Eaten Up Inside
3. Last Legal Drug (Le Petit Mort)
4. Twisted Transistor - The Dante Ross Mix
5. Twisted Transistor - Dummies Club Mix
Videos:
6. Twisted Transistor (Live in Moscow)
7. Hypocrites (Live in Moscow)

Kritik
Wenn sich die unumstrittene Ikone eines ausgestorbenen Musikzweigs ins neue Jahrtausend zu retten versucht, dann ist einiges vorprogrammiert: Umorientierung. Mutation. Metamorphose... und damit auch ein unumgängliches Spalten der Masse. Treten und Schlagen alteingesessener Harcorefans wird nicht zu vermeiden sein.
Anno 2005 sind nunmehr bereits drei Alben im neuen Jahrtausend Zeugnisse dieses Umstandes. “Untouchables” war ein letztlich eher gescheitertes Experiment, das einer nach “Issues” noch recht gesicherten Position entsprang. Man könnte sagen, so wie Großbritannien im 18. Jahrhundert bei der “spielerischen” Einleitung der Industriellen Revolution - nur dass diese auch wirklich einen Durchbruch zur Folge hatte. Mag man dem 2002er-Output durchaus vereinzelte Geniestreiche anerkennen, im Gesamtbild war das Album ein richtungs- und orientierungsloser Brei aus nicht fertig durchdachten künstlerischen Ambitionen.
Noch schlimmer sah es ein Jahr später mit dem Nachfolger “Take A Look In The Mirror” aus; auf der Welle des umstrittenen Metallica-Werks “St. Anger” mitschwimmend, setzte man auf die altbewährte Formel “Back to the Roots”, von wegen schneller, härter, roher. Die Folge? Eine unfreiwillig komische Eigenparodie, ein Schatten der Glanzzeiten, kurzum der Tiefpunkt des gesamten Schaffens eines Genrekönigs, der mitsamt seines Genres unterzugehen drohte.

Nicht viel besser nun die Bedingungen im Vorfeld für das vorliegende Album. Mit Brian Welch verlor man ein langjähriges Mitglied, welches Gott für sich entdeckt hatte und ihm in Zukunft sein Leben widmen will. Weiterhin fand nach einem gescheiterten Vertragspoker ein Labelwechsel statt. Von Sony BMG schiffte man über zu Virgin/EMI, verbunden mit einer zunächst äußerst merkwürdig anmutenden Kollaboration: Die Hitmacher The Matrix und Atticus Ross wurden zu Rate gezogen. Was soll man davon halten, wenn die Referenz des New Metal sich Einflüssen von Quellen aussetzt, die bereits mit Britney Spears zusammengearbeitet haben? Fear & Loathing in KoRnyland...

Ich hätte jetzt leicht Reden, wenn ich sagen würde, dass die Angst unbegründet war. Zu sehr wird das Resultat vom Ohr des Einzelnen abhängig sein; Versprechungen kann man also niemandem machen. Und mag nun “See you on the other side” für nicht wenige der erneute Tiefpunkt einer längst ihren Zenit überschrittenen Band sein, so ist es für mich der erste gelungene Versuch einer dreiteiligen Experimentalphase. Ein Album, dem man immer noch keine Festigkeit zusprechen will, bei dem man keine Fähigkeit konstatieren kann, für sich selbst zu stehen, das möglicherwiese sogar unfertig erscheint. Aber es ist der erste greifbare Vorwärtsschritt, nachdem man zuvor ewig auf einer Stelle trat.

Stagnation war schließlich der zentrale Kritikpunkt des Vorgängers, und diesen auszumerzen hat man sich mit dem neuen Album zur Aufgabe gemacht. Das Unternehmen ist gelungen. Die Weiterentwicklung ist deutlich spürbar.
Die größte Stärke dieses recht umfangreichen Outputs liegt im Durchbrechen des eigenen Mauerwalls, der nach eigener Aussage von Jonathan Davis dessen Kreativität erheblich eingezäumt hat. Ein massiver Schwall an melodischer Verzweigung strömt aus dem Baumstammmassiv namens “KoRn” und breitet sich aus wie Hans’ Bohnenranke aus dem gleichnamigen Kindermärchen. Sphären werden durchstoßen, die zuvor niemals erreicht wurden. Plötzlich entfalten sich kompositorische Verzweigungen, die es vor allem ermöglichen, den einzelnen Stücken eine Dynamik zu geben, die ihnen einen enormen Langhaltswert verleihen. “See you on the other side” ist beim ersten Kontakt nur schwer schlüssig, aber es wächst - es braucht Zeit. Man ahnt es bereits; industrielle und progressive Elemente haben sich eingeschlichen.

Als hilfreich erweist sich dazu ein gewaltiges Repertoire an Samples und Effekten, die bis zum Exzess ausgereizt werden und teils gezielt, teils auch experimentell zum Zuge kommen. Gewiss, die Industrial-Referenzen werden nicht einmal annähernd gestreift, doch gelingt es Davis & Co., die neuen Möglichkeiten zu zähmen, sie quasi zu domestizieren und sie sich eigen zu machen. Bleibt der Opener “Twisted Transistor” noch die klassische erste Single in der Tradition von “Right Now” und “Here to Stay”, eröffnet als erster Song “Politics” die Dimensionen und das Potenzial, auf das die neue Kollaboration zurückgreifen kann. Gebettet auf einer recht komplexen Gitarrenwand wechseln die Vocals stetig zwischen zwei Tonlagen, was auch als Abstimmung auf das Songwriting betrachtet werden kann; ein Aspekt, dessen sich die Vorgänger zwar irgendwo auch rühmen konnten, jedoch auf einem deutlich primitiveren Niveau, nämlich dem simplen Wechselspiel aus Aggression/Dynamik und Spannung.
“Hypocrites” bleibt recht konventionell und könnte auch “Take A Look In The Mirror” entstammen, denn letztendlich bleibt hier lediglich der verzerrte Shout des Songtitels im Hinterkopf. Komplexer geht es da wieder “Souvenir” an, das sich auch bemüht, die Taktfolge zu varriieren und mit den Hörschemata zu spielen, indem zunächst schief klingende Kompositionen erstellt werden, die erst mit zunehmender Laufdauer an Effektivität gewinnen.
Nach dem Hänger “10 Or A 2-Way” beginnt ein enorm starker Mittelteil. “Throw Me Away” ist der bis hierhin klar stärkste Song. Begleitet von der allumfassenden Melancholie, wie sie konzentriert in Davis’ Side-Project “Queen Of The Damned” zum Zuge kam, wird hier höchst ansprechend in einen schwerfälligen Rhythmus gepackt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Ähnlich schwerfällig beginnt mit “Love Song” eines der Highlights des Albums. Betrachtet man das genial konzipierte Coverartwork, so wird dessen Versprechen mit “Love Song” eingelöst. Ein wabernder Industrial-Sound fädelt eine hypnotisierende Leitlinie ein und führt uns in ein psychedelisches Abstraktum, wie man es KoRn in dieser Phase kaum zugetraut hätte. Die von Davis druckvoll präsentierte Leitmelodie gleicht dabei einem harmonischen Kindermärchen, das jedoch von der alptraumhaften Gitarrenfassade ins Obskure gezogen wird. Dann der Höhepunkt: Davis quält sich mit brüchiger und weinerlicher Stimme durch ein atmosphärisches Medley, traut sich kaum, seine Stimme zu verwenden, und wenn, dann nur so spärlich wie möglich - bis der Moment beinahe toolesk aufgelöst wird.

Jedoch lässt sich diese grandiose Phase auch mit einem der zentralen Probleme des Albums verbinden - es ist schlichtweg zu sanft und entfaltet seine Kraft aus nichts als den poppigen Momenten. Wann immer die härtere Gangart angetestet wird, so fällt man wieder zurück in die Stagnation. Es hätte einfach möglich sein müssen, den neuen Weg auch mit härteren Mitteln zu beschreiten. Fans der ersten Stunde wird die Kritik damit nahezu auf dem Silbertablett serviert; wenn man sich im Rahmen der gewählten Richtung von der Band KoRn einen Mehrwert gegenüber der unzähligen überlegenen Genrekönige erhofft hatte, dann diesen, dass Davis & Co. in Sachen Killerriffs einen drauflegen, sprich: das Beste ihrer ersten drei, vier Alben herausziehen und mit der neuen Richtung verbinden. Was wäre möglich gewesen, hätte man Brecher vom Schlage eines “A.D.I.D.A.S” oder eines “Shoots & Ladders” mit den progressiven Elementen gekreuzt - ein Monsterbastard wäre dabei herausgekommen, der Kritikern und Fans gleichermaßen in die Fresse geschlagen hätte.

Diese Richtung ist leider auch nach der Halbzeit nicht mehr zu erwarten. Davis hangelt sich Song für Song an dem rückführend als Strohhalm zu bezeichnenden Experimentalismus entlang, lebt also “nur” von der Erforschung neuer Landen. Was KoRn-typische Elemente betrifft, so werden diese mit unterschiedlichem Erfolg in das Gesamtkonzept integriert. Während die liebgewonnenen Dudelsack-Klänge erfrischend platziert sind und auch mit der Art ihrer Darstellung glänzen können, bleibt der früher als Markenzeichen geltende hervorpreschende Bass weit hinter seinen Möglichkeiten zurück - da hätte einfach mehr drin sein müssen.

Als man es dann am wenigsten erwartet, bombt plötzlich im üblicherweise hängenden letzten Drittel der Track “For No One” mit einer solchen Wucht im Refrain ein, dass man beinahe erschrecken könnte - die Nackenhaare richten sich zusammen mit Davis’ langgezogenen fünf Silben und den Erinnerungen an alte Zeiten auf. Der Ausklang mit “Tearjerker” ist einmal mehr gelungen, wenngleich mir da doch “No One’s There” von der verschmähten “Untouchables” noch immer am besten gefällt.
[...]
 
Zuletzt bearbeitet:
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Was ist als Fazit zu ziehen? Es wird kaum zu verhindern sein, dass bereits in dieser Minute Kritiker und schreibwütige Internetuser ihre Krallen wetzen, um auf das neueste Werk der New Metal-Ikonen einzudreschen. Schon die Kooperation mit den neuen Produzenten bietet genug Gelegenheit dafür, ohne Sinn und Verstand mit Vorurteilen um sich zu schlagen und diese um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Fakt ist aber, dass es endlich mal wieder deutlich spürbar vorwärts geht, was die Entwicklung betrifft, nach dem man sich zuvor im Kreis drehte und nur noch selbst zitierte. “See you on the other side” ist immer noch ein fragiles Gerüst, nichts anderes kann es sein. In dieser Phase gilt jedoch: Der Weg ist das Ziel, und das erste Album unter Virgin entpuppt sich hoffentlich in einer noch ungeschriebenen Zukunft als Wegbereiter für eine solide Basis, auf der man wieder ein neues Zuhause errichten kann. Der erste Schritt ist getan.
8/10

Extras
Auf den Käufer der limitierten Edition wartet alleine ein Plus von 23:42 Minuten an unveröffentlichten Tracks und Remixes, verteilt auf 5 Songs, die sich auf der beigelegten Bonusscheibe befinden. Und das ist gar nicht mal so minderwertig, was man hier zu hören bekommt; im Gegenteil, “Eaten Up Inside” ist ein echt schwieriges Abstraktum geworden, das gut und gerne den Platz eines Lückenfüllers auf der Hauptscheibe hätte übernehmen können. Die beiden Remixes von “Twisted Transistor” sind wie üblich pure Geschmackssache - von der Qualität der Remixalben der “Nine Inch Nails” sind sie jedenfalls meilenweit entfernt.
Wer einen PC sein Eigen nennt, kommt zudem in den Genuss zweier Videos zur Live-Performance von “Twisted Transistor” und “Hypocrites” in Moskau (Gesamtlaufzeit: 7:14 Min.), wobei der erste Song etwas gelangweilt daherkommt und es beim zweiten richtig abgeht. Zur Abrundung findet man im Inneren noch einen Zettel mit einem Code, durch den man offenbar eine einjährige Mitgliedschaft im Fanclub erwerben kann.
Insgesamt hat man es sich preislich nicht nehmen lassen, dies alles reichlich zu besteuern, aber für den geneigten Fan ist dieser Mehrwert wohl unverzichtbar.
8/10

Artdesign
Das Artdesign von David Stoupakis ist nicht nur als schlichtweg genial zu bezeichnen, sondern in der Reihe einer außergewöhnlichen Korn-Design-Historie als das Meisterstück. Angelehnt an surreale Märchen à la “Alice im Wunderland” schuf Stoupakis ein verstörendes Fantasieszenario aus unvermenschlichten Tierköpfen mit Menschenkörpern und einem totenbleichen Kind inmitten dieser feindlichen Landschaft. Das ist nicht nur perfekt auf die Bandhistorie abgestimmt, sondern gliedert sich auch nahtlos in Stoupakis’ Gesamtwerk ein. Zudem verleiht es dem sowieso schon stimmungsvollen Album eine atmosphärische Grundfeste. Die Limited Edition setzt da noch eins drauf - ein wundervoll gestaltetes Digipack offenbart neben den beiden Discs zudem ein aufklappbares, dreidimensionales Papptheater - und aus den zusätzlichen Artworks ließe sich eine komplette grausige Märchenhorrorgeschichte basteln. Das Booklet verzichtet derweil auf Songtexte und gesteht jeglichen Platz den Artworks zu, unterbrochen von Bildern der einzelnen Bandmitglieder, die in aufwendig hergerichteten Szenarien zu erblicken sind. Alles in allem ein wahrer Genuss für Ästheten.
10/10

Fazit
Bevor man blind in den nächsten Laden rennt und sich das neue Korn-Album zulegt, sollte man definitiv probehören - die Gemüter werden sich an diesem Werk jedenfalls spalten. Andererseits sollte man dabei bedenken, “See you on the other side” nicht mit dem ersten Durchlauf zu beurteilen, denn es ist auch ein Album, das Zeit braucht, das wachsen muss.
Ob man nun den ziemlich üppigen Aufpreis für die limitierte Variante löhnen will, muss man selbst erwägen. Für einen Aufpreis von knapp 10 Euro - und das ist kein Pappenstiel - bekommt man immerhin eine runde halbe Stunde Musik und Videos auf einer zweiten Disc zusätzlich sowie ein wunderschön gestaltetes Digipack, das von einem durchsichtigen Schuber überzogen ist. Hier gilt es, Prioritäten abzuwägen - das Hauptwerk müht sich jedenfalls, dem Vertrauen gerecht werden, das man durch den Kauf in den neuesten Korn-Output legt.

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Weitere Bilder

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Coverrückseite sowie Digi und transparente Hülle getrennt voneinander

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Geöffnetes Digipack

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Linke Seite nach oben geklappt

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Rechte Seite nach rechts geklappt
 
deftones
White Pony

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Technische Daten
Vertrieb: maverick
Laufzeit: 48:52 Min.
Anzahl der Tracks: 11
Extras: Multimediapart mit Fotos, Songtexten, Musikvideo, Minispielen und Weblink
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. feiticeira (3:09)
2. digital bath (4:15)
3. elite (4:01)
4. rx queen (4:27)
5. street carp (2:41)
6. teenager (3:20)
7. knife party (4:49)
8. korea (3:23)
9. passenger (6:07)
10. change (in the house of flies) (4:59)
11. pink maggit (7:32)

Kritik
Die deftones galten vom chaotischen Beginn mit “Adrenaline” an als Mitbegründer und Wegweiser des New Metal, der mit Limp Bizkit, KoRn und später Ablegern wie Linkin Park letztlich zweispurig wurde und jene poppigere, eingängigere und stärker auf das Laut-Leise-Schema bedachte Richtung am Ende bevorzugte. Was die deftones dem Genre mit auf den Weg gaben, war undurchdringlicher und ganz einfach sphärischer. Unschlüssig im Zugang, war dies wohl der Grund, weshalb diese tiefer gehende Interpretation des New Metal stets ein peripheres Dasein fristen musste; was wäre gewesen, hätte sich die Richtung stärker hierhin konzentriert. Aggro-geile Kiddies wären nie auf den “Nu Metal”-Zug aufgesprungen, die Musik hätte länger überlebt und wäre heute wohl da, wo nun der Prog-Metal steht, hätte mit ihm womöglich eine hervorragende Symbiose entwickelt, wie sie heute ehemalige Größen wie KoRn zu reinterpretieren versuchen.

Chino Moreno (Vocals und Gitarre), Abe Cunningham (Drums), Chi Cheng (Bass), Frank Delgado (Turntables) und Stephen Carpenter (Strings) spielten im Jahr 2000 dasjenige Album ein, das möglicherweise als ihr absolutes Meisterstück betrachtet werden muss und von dem man eigentlich ausgehen kann, dass es niemals wieder übertroffen wird. Der selbstbetitelte Nachfolger war drei Jahre später relational eine Enttäuschung, mit dem Nebenprojekt Team Sleep hat sich Chino Moreno bislang auch keinen allzu großen Gefallen getan. Nicht unterschlagen werden sollte die Tatsache, dass auch “Around the Fur” ein Meisterwerk war, das die klassischen New Metal-Elemente noch am meisten bediente, während das Debüt “Adrenaline” eine gute, rohe, vor Potenzial strotzende Platte war, der aber die semantische Tiefe zugunsten der aufgestauten Aggressionen noch etwas abgingen.

Diesbezüglich ist nun “White Pony” wie eine Weintraube, die endlich alle Reifestadien durchlaufen hat. Dem Außenstehenden wird diese Platte, beginnend bei dem simplen Cover-Design, außerordentlich steril vorkommen, kalt und unangenehm. Cunninghams Drums peitschen die Melodie in Schüben nach vorne, die sich aus behäbigen Gitarrenriffs ergeben, welche hypnotisch durch den Gehörgang krachen wie eine Wasserwelle nach der anderen. Morenos Organ ist voluminöser und zugleich fragiler als je zuvor, bildet mit den Wellen eine schiefe Frontlinie, die durch einen stetigen Wechsel der Songpartikel vorangetrieben wird. Geht man zum ersten Mal an “White Pony” heran, ja kennt man womöglich noch nicht einmal die Vorgänger, so entsteht vielleicht sogar ein Gefühl der Ablehnung, das sich daraus ergibt, nicht durch den dichten Soundwall brechen zu können und das Konzept nicht zu verstehen. Der Mensch hat Angst vor dem Unbekannten, und das ist das “Problem” bei den deftones: Sie erschließen sich dem Hörer nicht sofort. Und zwar aus anderen Gründen als etwa bei “Tool”, deren Musik durch die unzähligen zu ordnenden Einzelelemente schwer nachvollziehbar ist. Hier jedoch ist es ein einziger, bizarrer, verzerrter Klumpen. Im Prinzip beim ersten Mal eingängig und schlüssig, aber eben unharmonisch.

Es braucht Zeit. Denn es verändert sich. Und wer zu voreilig ist und frühzeitig das weiße Pony in die Ecke wirft, der verpasst die schönste Metamorphose seit der Entdeckung des Schmetterlings.

“Digital Bath” für sich betrachtet ist eine einzige Offenbarung, wahrscheinlich mit das Beste, was Moreno akustisch zustande gebracht hat. Die Art und Weise, wie sich seine Stimme hier zwischen zarter Zerbrechlichkeit und vollkommen isolierter Energie umwandelt und dadurch pure Melancholie zum Vorschein bringt, ist einfach phänomenal. Tatsächlich baden wir während dieser vier Minuten in digitaler Isolation. Ein Akt von größter Grausamkeit und absoluter Schönheit.
Mit “Elite” folgt sogleich mal eben das härteste Stück Musik aller deftones-Platten. Die Riffs hämmern wie ein wilder Mustang durch die Boxen, Chino krächzt sich zugleich die Seele aus dem Leib, als wolle er die Gitarre nur noch weiter aufschrecken, anstatt sie zu zäumen. Je länger man diesem Stück zuhört, desto stärker fühlt es sich an wie ein metallisches Konstrukt, dem ein organisches Wesen zu entkommen versucht - vergeblich.
Im folgenden entwickelt sich das Album nur noch weiter zu einem zusammenhängenden Einzelstück. Kaum ein Song würde ausgekoppelt die gleiche Effektivität erreichen, schon gar nicht wäre einer der Songs chartstauglich. “Teenager” ist gar ein seichtes Stück Einschlafmusik, mit sanften Tönen, unterlegt von verzerrten Drums und einer Art Radiorauschen. Und dann kommt “Knife Party”, das den ungewöhnlich starken Endteil grandios einleitet. Moreno zieht im Grundgerüst die Vocals lang, stemmt sich gegen die Leitmelodie und setzt seine Stimme deftones-typisch nicht analog zu ihr ein. Der Refrain ist fast poppig, und dann überrascht uns mitten im Song ein orientalisch anmutendes, definitiv jedoch extrem exotisches Zwischenspiel mit einem genialen Hintergrundgejaule, das sich bis in die höchsten Tonlagen aufwiegt und am Ende kaum noch menschlich wirkt. Superklasse.

Aber noch gar nichts gegen das, was zwei Titel weiter in dem absoluten Album-Höhepunkt kulminiert. Da ist es fast zu schade um den Lückenfüller “Korea”, denn der entfaltet seinerseits selbst eine tolle Atmosphäre mit seinen tief grunzenden Gitarren und dem einnehmenden Rhythmus - fatalerweise ist er zwischen zwei Brechern gefangen. Umzäunt wird er letztendlich nämlich von “Passenger”, DEM Übersong auf “White Pony”. Kaum eine Überraschung, gibt sich doch niemand geringerer als Maynard James Keenan die Ehre, der Kopf der genialen Tool und A Perfect Circle... und hat man Moreno als deftones-Anhänger bis zu diesem Punkt womöglich noch als den Gott betrachten können, und das nicht einmal zu Unrecht, so muss er hier Tribut zollen vor dem genialen Keenan, der mit seiner himmelsgleichen Stimme gleich mal zeigt, dass es noch weitere Götter neben dem Einen gibt... sogar noch größere. Die Tool-Einflüsse sind ganz klar spürbar, und das nicht nur durch Keenans gänsehauterregend geshoutetes “Passenger”. Die Melodie ist beinahe angsteinflößend in ihrer Wirkung, und man möchte es wieder und wieder hören.
Als wäre es mit diesem 6-Minüter noch nicht genug, wird gleich der nächste Knaller hinterhergepfeffert, nach “Passenger” nämlich mit “Digital Bath” gleichauf der zweitbeste Song des Albums - was für ein Finale. “I watched you change into a fly - It’s like you never had wings” haucht Moreno ins Mikro, während eine Sirene durch den Hintergrund schallt, die durchaus dem Videospiel “Silent Hill” entstammen könnte. Dann bricht die Frontgitarre in dieses unheimliche Szenario, Moreno spielt sein ganzes Können aus und ist wieder Gott.

Mit “Pink Maggit” (endet schließlich in “Back to School”) läuft dann ein Meisterwerk aus, das es in sich hatte. Man mag es als mechanischen Abfall titulieren, für einige ist es vielleicht sogar ein riesiger Haufen digitaler Exkremente - jedoch liegt hier automatisch der Verdacht nahe, dass “White Pony” in diesem Fall nicht gehört, sondern nur angehört wurde. Nicht jeder muss es mögen; ich kann hier nichts weiter tun als zu attestieren, dass “White Pony” wahrlich ein großes Album ist, ein Album für die Ewigkeit. Eines, das man gehört haben sollte. Tiefgehend, so wie das Wesen des weißen Ponys selbst.
9/10

Extras
Als Bonusmaterial gibt es einen ausführlichen Multimediapart. Enthalten sind Songtexte, Fotos, ein Video von Musikaufnahmen, zwei Mini-Spiele und ein Link zum Internet, alles verpackt in ansehnliche Menüs. Das gefällt.
4/10

Artdesign
Das Coverartwork ist schlicht und genial. Ein matt glänzender Silberhintergrund und die weiße Silhouette eines Ponys in der unteren rechten Ecke. Das entspricht der Undurchdringlichkeit des Materials auf der Scheibe und veranschaulicht optisch die Weiterentwicklung der Band - wenngleich es unüberschaubare Parallelen zum Erstling gibt. Das zwölfseitige Booklet beinhaltet Songtexte und ein paar stilistisch verfremdete Aufnahmen der Bandmitglieder in Schwarzweiß.
8/10

Fazit
“White Pony” mag am Ende sogar noch das zugänglichste aller deftones-Alben sein; einfach konsumierbar ist es aber deswegen lange nicht. Wer sich viel Zeit nimmt und auf die Musik eingeht, wird vielleicht ein großes Album entdecken, das definitiv auf dieser Scheibe enthalten ist. Alle anderen, die diese Größe nicht entdecken können, sollen sich nicht grämen - noch kein Meisterwerk ist zu einem solchen geworden, weil es für jeden Menschen einen Zugang bietet. Aber den Status, den hat “White Pony” inne - definitiv.

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Technische Daten
Vertrieb: maverick
Laufzeit: 47:14 Min.
Anzahl der Tracks: 11
Extras: Multimediapart mit Fotos und Videoclips
Booklet: 20 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. Hexagram
2. Needles and Pins
3. Minerva
4. Good Morning Beautiful
5. Deathblow
6. When Girls Telephone Boys
7. Battle-axe
8. Lucky You
9. Bloody Cape
10. Anniversary Of An Uninteresting Event
11. Moana

Kritik
Das weiße Pony hatte riesige Spuren hinterlassen. Die Fans waren in Ekstase, spekulierten die erste Hälfte des Jahres 2003 hindurch, welche neuen Geniestreiche Moreno mit seinen Mannen nach dem höchst erfolgreichen Vorgänger aus dem Jahr 2000 leisten würde. Auch ich erinnere mich zurück, kurz vor Release ziemlich stark im deftones-Fieber gewesen zu sein und mir ungerechterweise quasi Wundertaten erhoffte. Dann wurde das Cover veröffentlicht. Schlicht mit “deftones” betitelt, holte man nach, was viele Bands bereits mit ihrem Debüt machten - ein selbstbenanntes Album veröffentlichen. Das klang gut und roch nach “Wurzelpflege”. Im Design verflochten ein Totenschädel, geschmückt mit Rosen. Vanitassymbole, die den Heavyrock der Mittneunziger charakterisieren. Eine deftonessche Retrospektive.

Ganz so mythisch ist das Resultat trotz der grandiosen ersten Single “Minerva” leider nicht geworden. Denn so, wie dieser erste Bote klang, hätte eigentlich das komplette Album klingen müssen, und “White Pony” wäre um Längen übertroffen gewesen. “Minerva” erweitert das Spektrum der Band um eine Facette, Moreno stöhnt sich ekstatisch die Seele aus dem Leib und fängt unvergleichlich ein Gefühl der Freiheit ein. Dem Gitarrensturm ist akustisch ein zugehöriges Echo aus Wind und Sturm angebunden, was im entsprechenden Video so auch gleich visualisiert wurde.

Auch das Intro “Hexagram” ist durchaus noch gelungen, “Needles & Pins” erreicht wenigstens noch das Durchschnittsniveau des Vorgängers. Den Grundtenor bestimmen aber leider Songs wie “Good Morning Beautiful”. Seit zweieinhalb Jahren rotiert das bislang letzte Studioalbum der deftones in regelmäßigen Abständen in meinem Player, den Zugang habe ich aber nur zu ganz wenigen Stücken finden können. “Good Morning Beautiful” ist eben so ein Vertreter, der mir einfach nichts sagen will. Chinos kompositorisch wie immer eigenwillige Notenzusammenstellung setzt sich auf einer höheren Ebene diesmal eben nicht wie üblich zu einem genialen Puzzle zusammen. Es bleiben Bruchstücke übrig, die letzten Endes wie ein unüberlegt aufgetürmtes Gerüst wirken.

“Deathblow” kann dem glücklicherweise etwas entgegenwirken, indem sich eine traurige Grundstimmung, die seltsamerweise an alte Computerspiele wie “Giana Sisters” (wo ebenfalls eine triste Hintergrundmusik lief) erinnert, mit einer Mundharmonika vermischt und somit ein kurioses Eigenleben entwickelt. Das ist solide Kost, es hat seinen Reiz, aber die überwältigende Power alter deftones-Hits will sich auch hier nicht einstellen.
Weiter geht es mit dem auch eher uninspirierten “When Girls Telephone Boys”, das zwar mit einem in cooler Monotonie gehaltenen Riff punkten kann, ansonsten aber doch recht beliebig wirkt mit der mechanisch verfremdeten Telefonstimme Morenos und den Industrial-Effekten im Background. Das ist gewissermaßen ein Spiegelbild des kompletten Albums: Einzelne Aha-Momente sind da, ansonsten schlägt die Kurve niemals sonderlich weit von der Normspur aus. Solide und unaufregend.

“Battle-Axe” ist vom Niveau her auf einer Länge mit “Korea”, der damals zwischen “Passenger” und “Knife Party” unterging. “Battle-Axe” ragt nun hier allerdings aus der Landschaft heraus mit seiner hypnotisierenden Hookline, was für sich selbst spricht. Morenos Stimme hängt endlich wieder über der Landschaft wie ein unsteter Nebelschleier, es ist wieder Atmosphäre da. “Lucky you” wurde ja schließlich auf dem “Matrix Reloaded”-Soundtrack veröffentlicht, groovt auch einigermaßen, aber im direkten Vergleich mit dem “Teenager”-Pendant erreicht dieses trip-hoppige Zwischenspiel nicht die gleiche Wirkung.
“Bloody Cape” allerdings ist wieder mit einer monströsen Leitmelodie gesegnet, und die Gitarren reiten sich in fettem Groove zu Tode, während Moreno über weite Strecken eher spricht als singt.

Endlich kommt dann nach “Minerva” das zweite Stück der Platte, dem man ohne schlechtes Gewissen Genialität unterstellen darf. Ungewohnt sanft gleitet “Anniversary of an uninteresting event” dahin, ist gespickt mit Rasseln und chinesisch wirkenden Instrumentals. Wie geschaffen für Moreno, dessen geisterhafte Stimme im Kopf des Hörers über einen Bonzaigarten wandert. Das ist nicht klassisches deftones-Material, aber es passt sich den Vorzügen von Morenos Stimme perfekt an. Schließlich folgt mit “Moana” der Abschluss.

Man kann den Amerikanern nicht einmal richtig böse sein, da sie keine fatalen Missgriffe getätigt haben. Das vierte Album der deftones ist grundsolides Material, und dass man sich beim Songwriting nichts gedacht habe, kann man so auch nicht behaupten - das wäre nach drei Jahren auch eine eher unglaubwürdige These. Nur verglichen mit “White Pony” und auch “Around the Fur” fehlt das markante Eigenleben. Eine Entwicklung ist zu sehen, nur führte diese Entwicklung nur bedingt in die richtige Richtung. Songs vom Kaliber “Passenger” fehlen ganz einfach, und ein einzelnes Frontalbrett - immerhin kann man die Auswahlkriterien bei der Single nicht kritisieren - rettet noch kein komplettes Studioalbum. So blieb im Jahr 2003 eine mittelmäßige Enttäuschung zurück, die sich bis heute zumindest in meinen Ohren nur minimal rehabilitiert hat. Aus dem Fundus einer anderen Band wäre ich wahrscheinlich gnädiger gewesen, aber es sind die deftones. Und da war - trotz sehr guter Produktion und soliden Materials - einfach mehr zu erwarten gewesen. Hart und vielleicht auch ein bisschen unfair:
6/10

Extras
Es gibt wieder einen hübschen Multimedia-Part: Auf dem Computerbildschirm erscheint eine schwarzweiße Banderole bestehend aus dem Totenschädel und einem Rosengeflecht. Mehrere Rosen in der Mitte leuchten rot oder blau auf, wenn man mit der Maus über sie hinweggleitet; klickt man sie an, so gelangt man zu Videos, die jeweils die einzelnen Bandmitglieder ein Stück weit begleiten oder ein paar Sessions beiwohnen, mit einer Gesamtlaufzeit von etwa 20 Minuten. Zusätzlich gibt es rund 150 Fotos zu begutachten.
4/10

Artdesign
Wie schon im Review angesprochen, begeistert das Cover durch die simple, an “Guns ‘n’ Roses” & Co. erinnernde Vanitassymbole. Der Schädel kommt neben dem allgemein bekannten simplen “deftones”-Schriftzug und den blauen und roten Rosen hervorragend zur Geltung. Das Booklet beinhaltet auf 20 Seiten Songtexte auf überstilisierten blass-bunten Fotocollagen.
7/10

Fazit
Für jeden deftones-Fan ist zweifellos auch das vierte Album Pflicht. Einsteiger, die ansonsten ja gerne mal mit dem jüngsten Album beginnen, sollten aber vielleicht wirklich eher zu “White Pony” oder “Around the Fur” greifen, dann zu “Adrenaline”, um mit “Deftones” die Sammlung komplett zu machen. Denn mit letzterem kann man sich maximal ein Bild davon machen, welchen Stil die deftones bedienen; leider nicht so gut, was einen wirklich guten Song der Band ausmacht. Denn dazu bleibt das selbstbetitelte Album über weite Strecken zu oberflächlich, auch wenn die technische Qualität einmal mehr unbestritten ist.

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Den Thread wollte ich eigentlich für den Punk Rock Metal Club eröffnen.
Ich hab bisher ein Review verfasst. Diesmal gibts auch eine Wertung dazu.

Manowar – Warriors of the World united

11 Tracks
Preis: ca. 10 €

Wer den Namen Manowar hört, der denkt meistens an mitreißenden Viking / True Metal mit äußerst brutalen Texten. Doch auf dieser CD warten einige Überraschungen auf den Hörer...

1. Call to Arms 2. The Fight for Freedom 3. Nessun Dorma 4.Valhalla 5. Swords in the Wind 6. An american Trilogy 7. The March 8. Warriors of the world united 9. Hand of Doom 10. House of Death 11. Fight until we die

Manowar gibt sich sehr experimentierfreudig. Wer den genialen Opener Call to Arms hört denkt noch gar nichts böses, doch spätestens ab der Halbballade The Fight for Freedom wird klar, dass diese CD etwas gewöhnungsbedürftig ist. Doch auch The Fight for Freedom weiß zu gefallen. Ganz anders die Arie Nessun Dorma. Zwar sehr gut gesungen, aber so etwas hat auf dieser CD nichts zu suchen! Valhalla ist mehr klassische Musik als Metal und kann mich auch nicht überzeugen. Swords in the Wind ist eher von ruhigerer Gangart und daher eine willkommene Abwechslung. Der sechste Track, An american Trilogy, ist der nächste Totalabsturz und hat mit Metal rein gar nichts zu tun. Schließlich kommt wieder klassische Musik und erfreulicherweise ist The March gar nicht schlecht. Das unbestrittene Highlight dürfte Warriors of the World united sein. Mitreißend, eingängig und den Hörer fast schon in Ekstase versetzend. Da sieht man auch gern vom langweiligen Mittelteil ab. Wie der Track zuvor ist auch Hand of Doom typisch für Manowar und gut gelungen. House of Death und Fight until we die bleiben auf diesem hohen Niveau, weshalb ich die CD allen Fans von Manowar empfehlen kann.

Punkte: 9/10
 
DaveTheBrave schrieb:
Oha...hab das Album zwar ewig nicht mehr gehört,aber damals fand ichs echt barbarisch schlecht :D
!?
Du warst doch von Call to Arms und Warriors of the World United begeistert!
Außerdem mach ich keinen Hehl draus, dass Nessun Dorma, An American Trilogy und Valhalla unbrauchbar sind.
 
Denn bring ich auch noch mal was...

Soil
Scars

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Technische Daten
Vertrieb: J Records
Laufzeit: 43:12 Min.
Anzahl der Tracks: 13
Extras: Keine
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. Breaking Me Down
2. Halo
3. Need To Feel
4. Wide Open
5. Understanding Me
6. My Own
7. Unreal
8. Inside
9. Two Skins
10. The One
11. New Faith
12. Why
13. Black 7

Kritik
Der Schnee taut langsam weg, die Sonne kriecht heraus und die Veröffentlichung des neuen Soil-Albums “True Self” steht kurz bevor. In Kürze wird wieder fett die Sau rausgelassen - Zeit für eine Retrospektive.

Soil sind eine Modern Metal-Combo aus Chicago, bestehend aus Rockmonster Ryan McCombs, Bassmann Tim King, den Gitarristos Shaun Glass und Adam Zabel und Schlagzeuger Tom Schofield. Man könnte auch schlicht und einfach sagen: Fünf Sprengsätze C4, die gleichzeitig an einem Ort gezündet die volle Ladung in die Luft gehen lassen.

Nach der EP “El Chupacabra” (1998) und dem Album “Throttle Junkies” (1999) begannen die Aufnahmen für das neue Album “Scars” im Jahr 2000. Ein Radio-DJ aus Orlando entdeckte eines Tages das knallende “Halo” für seine Radio-Station WJRR - das löste einen unglaublichen Hype um die Newcomer aus. “Halo” wurde zum Inbegriff eines Hits. Es begann ein Tauziehen von Produzenten um Soil, die plötzlich in aller Munde waren. Das Label J Records bekam schließlich den Zuschlag und sorgte dafür, dass “Halo” über die Grenzen von Florida hinaus berühmt und berüchtigt wurde. Und es schlug ein wie eine Bombe - es entstand das klassische Aperitif-Schema. Gib den Fans eine Kostprobe... wenn sie ihnen schmeckt, werden sie nach mehr verlangen.

Besonders erwähnenswert an dem 13 Songs umfassenden Brecher ist die Tatsache, dass diese Band vollkommen gegen die Stromrichtung ins kalte Wasser des Mainstreams eintauchte. Angesagt waren damals eher Hip Hop-Combos oder wenigstens Bands, die dazu tendierten, Hip Hop-Elemente in den eigenen Stil einzubauen, was speziell dem New Metal einen Teil der Gesichtszüge gab. Soil hingegen verzichten vollkommen auf derartige Spirenzchen und liefern ein aufrichtiges, glasklares Metal-Brett, das beinahe schon retro klingt, so isoliert zeigt es sich gegenüber äußeren Einflüssen - die Trendsetter perlen an dem ersten Album für den Massenmarkt ab wie Wassertropfen an einer Plastikfolie. Obwohl ihm durch seine simple Struktur Anbiederung an den Mainstream vorgehalten werden könnte, war dies doch nie ein wirklicher Kritikpunkt - zu faszinierend erschien die Tatsache, dass eine derart klassisch agierende Metalband sich heuer auf dem Markt durchsetzen konnte und alte Tugenden mit neuer Power mischte.

Im Wesentlichen ist “Scars” ein durch und durch positiv nach vorne preschendes Instruktionsgerüst zum Moshen - jeder einzelne der dreizehn Songs groovt unheimlich konsequent nach vorne und bietet eingängige, nichtsdestotrotz abwechslungsreiche melodische Konstrukte. Die Gitarren schreddern bösartig tief gestimmt durch den Gehörgang und sind einfach nur böse, während der Bass die Produktion fett macht.
Das bemerkenswerteste Instrument bedient jedoch der Frontmann. Ryan McCombs hat ein derart voluminöses und markantes Organ, das es einem schnell mal die Zehennägel aufrollt (vor Freude) - einer der Punkte, weshalb “Halo” im Vorfeld so respektlos eingeschlagen ist. Der Kerl muss nach dem Zähneputzen mit Whiskey gurgeln und zwanzig Zigarren täglich rauchen, anders lässt sich dieses kratzige, dunkle, bassige, variable, vielseitige, dynamische, grollende, gröhlende, sanfte und doch dämonische Instrument in seiner Beschaffenheit nicht erklären. Gerne setzt McCombs seine Stimme auf einer hohen Tonlage an und lässt sie einfach fallen mit einem langgezogenen “Ooooouhhh” - das ist offensichtlich eines seiner liebsten Methoden, sich von der Konkurrenz abzunabeln und vergleiche mit nicht minder markanten Herren wie Sully (“Godsmack”) oder James Hetfield (“Metallica”) von sich zu weisen. Oft scheint die Stimme auch nur aus einem kratzenden Geräusch zu bestehen und ergibt im Hintergrund doch eine schnurgerade Tonbalance.

Die Stimmung des Albums ist deutlich auf hüpfende Massen auf Festivals oder in Metal-Discos ausgelegt. Aus dem “Gute-Laune-Metal” brechen eigentlich nur “Unreal” und in Teilen “Black 7" mit dramatisch wirkendem Sound heraus, der aber dennoch nicht das Pacing herausnimmt, sondern das gleiche Tempo einfach nur auf eine andere Stimmungsrichtung auslegt.
“Halo” ist schon auch im Gesamtkontext das Über-Werk der Platte. Zumindest für den Europäer kündigte es sich erst im Rahmen des Musikvideos an. McCombs, auftretend wie ein Berg aus Fleisch, Zähnen und blondem Zauselhaar ließ die Bude dröhnen und verhinderte alle Spekulationen darüber, ob man den Song möglicherweise noch energiegeladener rüberbringen konnte - das war und ist schlicht nicht möglich. Dem Urschrei folgt ein hypnotisierendes Gegröhle, unterlegt von einem fetten Riff, das in einen unwiderstehlichen Refrain einleitet. Simpel und doch mit der maximalen Wirkung versehen.
Leider ist kein weiterer Song wirklich als Ausnahmetitel herauszupicken; keiner erreicht diese maximale Intensität, aber ebenso wird keiner zum unterdurchschnittlichen Lückenfüller. Kurz: Das ganze Album ist sehr gut auf einen Schlag durchhörbar, ohne dass die Skip-Taste in Anspruch genommen werden müsste.

Obwohl “Scars” vor Abwechslung nur so strotzt, macht sich dennoch der Eindruck breit, dass Soil sich in einem hermetisch abgeriegelten Würfel befinden, in dem sie sich zwar wild hin- und herschlängeln können, aus dem sie aber niemals richtig ausbrechen können. Sprich: Es werden Grenzen der Abwechslung sichtbar. McCombs ist hörbar darum bemüht, sein Organ auf unterschiedlichste Weise einzusetzen, nur wird in diesem Bemühen auch deutlich, dass es ein Unvermögen gibt, die Stimme infinit weiterzuentwickeln. Und das betrifft nicht nur die Vocals, sondern auch die Instrumente, deren Funktionseinheiten sich irgendwann erschöpfen. Es ist fast so, als habe man mit dem dreizehnten Song gerade so die Grenze dazu erreicht, dass das Album sich nicht schon selbst wiederholt. Es ist also gewissermaßen gerade noch ein ziemlicher Knaller geworden, der sein Potenzial aber auch wirklich voll und ganz ausgereizt hat und kurz davor stand, es zu überreizen.

Ob ich mit dieser Einschätzung Recht behalten soll, ist auf dem recht schnell nachgeschobenen “Redefine” zu überprüfen, das recht unterschiedliche Einschätzungen seitens Kritikern und Publikum hervorbrachte - von “fett, aber nichts neues” bis “übertrifft den Vorgänger” hin zu “uninspiriert” war so ziemlich alles dabei. Den definitiven Langzeittest sollte dann demnächst “True Self” bringen.
7/10... Nicht mehr und nicht weniger.

Extras
Nuttin':
0/10

Artdesign
Ja, was ist das eigentlich auf dem Cover? Es ist erst auf den zweiten Blick festzumachen: Scheinbar handelt es sich um einen Fußabdruck in Detailaufnahme, wobei die Schuhsohle den Bandnamen in der Erde hinterlässt. That’s Soil: Erdig, dreckig, ehrlich, natürlich, dunkel und doch kontrastreich und klar. Außerdem drücken sie allem ihren unmissverständlichen Stempel auf. Yeeeeaah! Das Innere des Booklets kommt leider ausgesprochen fade daher: Komplett in Schwarzweiß, sehen wir jeweils auf einer Seite ein Foto eines Bandmitglieds und auf der anderen Seite die säuberlich getippten Songtexte.
5/10

Fazit
Wer die Schnauze voll hat von der Welteroberung durch Hip Hop und Konsorten, der hat mit Soils “Scars” die volle Ladung Sprengstoff entgegenzusetzen. Das Album fetzt durch und durch, es explodiert fast vor lauter Energie und ist bis zum Bersten angereichert mit bestem Modern Heavy Metal, das dir die Schuhe auszieht. Ryan McCombs ist ganz nebenbei eines der wuchtigsten Metal-Monster, die den Massenmarkt in den letzten Jahren aufgemischt haben.

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Anlässlich des morgigen Release des zweiten Studioalbums von Amplifier stelle ich mal das Review zur vorhergehenden EP ein.

Amplifier
The Astronaut Dismantles HAL

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Technische Daten
Vertrieb: SPV / Steamhammer
Laufzeit: 39:44 Min.
Anzahl der Tracks: 6 (+ Hidden Track)
Extras: Keine
Booklet: 4 Seiten
Verpackung: CD-Case

Tracklist
1. Continuum
2. Into the Space Age
3. For Marcia
4. The Brain Room
5. Everyday Combat
6. Live Human

Kritik
Wow! Alle Wu-Tangs und alle Maggots aufgepasst: Intensive, dichte Musik kann man auch mit nur drei Mann erschaffen. Der beste Beweis sind Amplifier aus Manchester. Sel Balamir (Vocals, Gitarre), Neil Mahony (Bass) und Matt Brobin (Drums) - mehr braucht es nicht, um alles im Umkreis von einer Meile mit purer Elektrizität aufzuladen, alles zu einem schmelzenden Klumpen zu machen und jeder einzelnen Mikrobe ein Gefühl der unendlichen Freiheit zu geben. Amplifier sind das, was der Bandname suggeriert - Spannung, Volts, Power, Energie - gebündelte Energie, diesmal entladen auf einer EP, die andere Bands mit den knapp 40 Minuten als vollwertiges Album verwerten würden. Doch diese Notwendigkeit ist hier nicht gegeben. Die Musik strömt unentwegt und unkontrolliert aus den Boxen - keine Zeit für Kapitalismus.

Schon das selbstbetitelte Debüt war im Sommer 2005 ein sich entladender Wolkenbruch von berstender Energie. Offenkundig einfacher gestrickt als jene Bands, mit denen Amplifier im Fankreis konkurrieren würden (ich sage bewusst nicht: Bands der gleichen Musikrichtung, denn es wäre mir unmöglich, Vergleiche zu ziehen), entzog sich diesem Monstrum jedoch nie die Attraktivität. Wieder und wieder landete es zumindest in meinem CD-Player in einer Abhängigkeit, die ich plötzlich erfahren hatte.

Dass nun kein halbes Jahr später sogleich das Zwischenspiel “The Astronaut Dismantles HAL” erschien, zeugt von der Rastlosigkeit der Engländer, die ihre musikalischen Wurzeln an die Stadt Manchester durchaus immer wieder preisgeben. Amplifier machen englische Musik, ohne dabei wirklich regional zu klingen. Der sich allen Einflüssen scheinbar verwehrende Stil verleiht den Songs eine Aura, die der Stratosphäre gleicht - kühl und beinahe undurchdringlich... schlichtweg universell greifbar in einer unvergleichlichen Dichte.

So ist “The Astronaut Dismantles HAL” nur die logische Weiterentwicklung des Debütalbums. Den Blick nach oben gerichtet, entpuppt sich der 39-Minüter als schwereloser Spacerock, pendelt zwischen den Sphären, drischt wechselseitig mit voller Power auf den Gehörgang ein oder wandelt in einem Sternenfeld aus ewig erscheinender Ruhe. Der Zuhörer bewegt sich durch fünf Phasen (=Songs) sowie eine Zwischenpassage (“The Brain Room”), um am Ende unerfüllt dastehen gelassen zu werden und zu wissen - diese EP ist unkomplett. Sie fordert das nächste Studioalbum geradezu heraus. Sie ist wie ein Adler, der uns am Genick packt, in die Wolken fliegt und uns dann einfach fallen lässt.
Der Einstieg “Continuum” bildet eine nahtlose Verbindung zum Debüt. Sel Balamir schreit uns ekstatisch-gemäßigt “Just Listen!” entgegen - und wie alle Imperative, die er uns bislang entgegen schleuderte, hinterfragen wir diese Aufforderung nicht, sondern wir folgen ihr einfach - so wie wir uns damals in den Schoß seiner Ansage “It’s time to fly” haben fallen lassen. Wer da nicht auf der Stelle in die REM-Phase fällt, ist vermutlich schon tot oder taub.
“Into the Space Age” kommt dann gemäß dem Titel extrem abgespact daher - Elektro-Drums werden in den Vordergrund geschoben und entfalten einen eigentümlichen Takt, an den man sich zunächst gewöhnen muss - aber dann wird er zum Unikat. “For Marcia” nimmt sich Zeit, schlendert langsam dahin, bereitet langsam einen Klimax vor, der niemals in voller Größe in Erscheinung tritt. Man wähnt sich in einem akustischen Overkill, der niemals genug erscheint - wo immer noch eine Lücke frei ist, wünscht man sich noch mehr, noch mehr, noch mehr...
“The Brain Room” macht das Gegenteil und offenbart sich als experimentelles Medley mit schrägen Soundeffekten. Wir sind im Weltraum angelangt. Vollkommene Isolation.
Und dann “Everyday Combat”. Eine Mischung aus einem Marsch und dem James Bond-Thema mit psychotischer Backgroundline im Space-Gewand. Es erfolgt der Sturz zurück in die Erdatmosphäre, mit Affenzahn rasen wir auf die grünblaue Kugel zurück, die mit jeder Sekunde größer wird. Zum Nachdenken bleibt kaum Zeit. Die Drums werden zunehmend lauter und unkontrollierter. Die letzten Sekunden vor dem Aufprall -
“Live Human”. Weiche Töne, gebrochen von schallenden Effekten, bis die Erlösung kommt, ein dichtes Gitarrenspiel, das zwei Tonlagen mehrmals hintereinander variiert. Sel Balamir singt wieder, eingängige Riffs dominieren... die Normalität?

Mit diesem Stichwort lässt sich dann - bei aller Bildlichkeit und Euphorie - ganz sachlich noch ein wenig Kritik anbringen. Natürlich erreicht dieser unmittelbare Nachfolger zu selten die Schönheit der 10 Tracks von "Amplifier". Man mag anbringen können, dass sich zu wenig Individualität entfaltet, einiges möglicherweise sogar zu beliebig bleibt. Das wichtigste jedoch, die Energie, lässt sich nach wie vor erkennen - und das nach einem anstrengenden Debütalbum und ausgiebigem Touren. Vielleicht wird es noch einige semantische Bruchstücke zu entdecken geben, wenn es mit der Discografie erst einmal weitergeht.

Das wäre dann aber im nächsten Studioalbum weiter zu interpretieren. “The Astronaut Dismantles HAL” hat sich als vertikale Variation gezeigt, als ein Aufstieg durch die Wolken ins All und als Fall zurück auf die Erde. Inhaltlich bleibt dieses Zwischenspiel vage und ungreifbar, der Sound hingegen ist so dicht, authentisch und nahe, wie er nur sein kann. Ein einzige Spacetrip, der, egal ob man ihn zu schätzen weiß oder nicht, dauerhaft im Gedächtnis hängen bleiben wird - soviel ist sicher.
7/10
Nach LP-Kriterien.

(P.S. Bei 9:55 des letzten Songs erfolgt ein Hidden Track)


Extras
Extras sind leider keine vorhanden, waren aber wohl auch nicht zu erwarten gewesen. Wenn überhaupt, kann man das komplette Album als Extra betrachten.
0/10

Artdesign
Kuriosität in minimalistischer Perfektion. Auf vollkommen weißem Hintergrund (inklusive weißer Plastikbeschalung zur Linken des Covers) ist die Anordnung der elektrischen Geräte angeordnet, die zum Erzeugen der Musik nötig sind. Das ist energetischer Purismus und das reine Beschränken auf die Wirkung der Musik als solche. Auf der Rückseite befindet sich das gleiche Motiv rückwärts geschrieben. Das Booklet ist leider nur vierseitig und zeigt im Innenraum ein unbesetztes Schlagzeug auf einem freien Feld im Grünen.
3/10

Fazit
Die Empfehlung lautet: Erst “Amplifier” probehören, anschließend folgerichtig kaufen, sich auf neue Sphären tragen lassen und anschließend blind zu dieser EP greifen, um in Sehnsucht nach dem nächsten Vollalbum zu zergehen.

Testequipment
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Backcover
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CD Inside
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Booklet Inside
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Zuletzt bearbeitet:
Hier mal ein Dankeschön an die Leute die Reviews posten, vor allem Vince! Ihr habt mich durch die Reviews auf ein paar echt gute Sachen aufmerksam gemacht, die ich noch nicht kannte. Wenn ich ein bisschen Zeit finde, schriebe ich auch mal eines :)
 
Mando Diao - Ode to Ochrasy

Ich geb der Scheibe 10/10 Punkten, einfach nur toll!

Kaufen Leute!
Die CD ist meiner Meinung nach ruhiger als die beiden Vorgänger, was mich aber keinesfalls stört. Sind richtig schöne Balladen drauf, aber auch mal schnellere Lieder, wo es aber auch nie richtig abrockt.
Das letzte Lied, Ochrasy, ist zum Beispiel total ruhig. Aber auch wunderschön. The Wildfire ist ein ruhiges Lied, das aber auch noch ne schöne Melodie hat.
Long Before Rock'n'Roll ist eins der rockigsten Lieder und trifft auch genau meinen Geschmack. Die Sänger wechseln sich in dem Song immer ab. Bei den restlichen Songs singt meist nur einer.
Wirklich alle Lieder auf der CD sind hörenswert, was es nur sehr selten gibt. Nur Good Morning Herr Horst gefällt mir nicht ganz so gut, ist aber auch kein schlechter Song. Ich höre die CD immer von Anfang bis Ende durch, normalerweise bin ich wild am Rumspringen zwischen meinen Lieblingsliedern.
Also das Genre ist Alternative-Rock hab ich mir sagen lassen. Mit welcher Band Mando Diao vergleichbar ist weiß ich nicht, meine Schwester hat behauptet Sugarplum Fairy, aber die sind nicht mal halb so gut. Mando Diao ist einfach eine Klasse für sich, hört mal rein, bei itunes oder so :)
 
XDVD schrieb:
Hier mal ein Dankeschön an die Leute die Reviews posten, vor allem Vince! Ihr habt mich durch die Reviews auf ein paar echt gute Sachen aufmerksam gemacht, die ich noch nicht kannte. Wenn ich ein bisschen Zeit finde, schriebe ich auch mal eines :)

Vielen Dank auch für das Feedback! Freut einen doch zu hören, dass die Reviews für manchen vielleicht ganz interessant zu lesen sind und man nicht umsonst hier postet. Daher auch danke an JAG für den Beitrag zu Mando Diao und auch ansonsten würde ich hier gerne mehr Beteiligung sehen. ;)

Ich selbst habe mein Pulver vorerst leider fast schon verschossen. Die Kritiken sind eigentlich fast alle schon ein halbes Jahr alt und seitdem habe ich im CD-Bereich nix mehr geschrieben. Vielleicht raffe ich mich mal irgendwann zu neuen Reviews auf.
 
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