Der alltägliche Weltuntergang

ElPleito

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Freitag, 13. Januar 2007, 05:26
Ich wache auf. Das ist ungewöhnlich, denn es ist früh und dabei habe ich doch eine Stunde Ausfall. Irgendwie habe ich schlecht geschlafen. An einschlafen ist nicht mehr zu denken.
Also schalte ich den Fernseher an.
ARD. Nüchtern und sachlich begrüßt mich der Nachrichtensprecher mit einem "Guten Morgen" und zeigt mir in den folgenden 20 Minuten, dass es keiner ist.
Irgendwo im nahen Osten hat sich wieder ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und Frauen und Kinder mit sich gerissen. Ein Trucker ist am Steuer eingeschlafen und hat einen Schulbus mitgenommen. Britney Spears hat nen neuen.
Ich schalte weiter. Kyrill hat überall ordentlich gewütet. All zu viel mitbekommen habe ich davon nichts. Wahrscheinlich hat er nicht sehr viel Interesse an unserem kleinen Örtchen hier gehabt.
Ich schaue auf die Uhr. 06:31 ? eine Stunde habe ich jetzt gesehen, was ich jeden Tag sehe. Gelangweit stehe ich auf. Stecke den Toast in den Toaster, gehe ins Bad und ziehe mit die Klamotten von gestern an, wasche mein Gesicht, gehe in die Küche und trinke ein Glas Apfelsaft und packe anschließend noch meinen Rucksack. Ich schaue wieder auf die Uhr. Ziehe meine Jacke über, nehme meinen Rucksack und gehe los. Den Toast lasse ich, wo er ist und werde ihn heute Nachmittag wohl wegwerfen.
Draußen stürmt und regnet es. Kyrill will wohl noch nicht ganz weg. Einige Äste liegen auf der Straßen, sonst ist nichts passiert.
Vor dem Supermarkt sehe ich desillusionierte Kinder und Jugendliche, mit Kippen in der Hand. Lachen über ihre Sauforgien am letzten Wochenende und planen die nächste morgen.
In der Schule wird mit erzählt, was ich nicht kann. Es wird mit gezeigt, wie sehr doch mein ABI in Gefahr ist und was ich doch noch alles zu tun haben.
Sozialkunde. Wir diskutieren über Globalisierung. Welche Vor- und Nachteile sie hat und ob sie wirklich so gut ist, wie alles sagen. Unwillkürlich muss ich an die DDR von vor 20 Jahren denken.
Schule ist aus. Ging recht schnell. Vielleicht, weil ich gar nicht so richtig dabei war.
Auf dem Rückweg sehe ich nun Erwachsene vor dem Supermarkt stehen. Lachen über ihre Sauforgie gestern und verabreden sich für die heute.
Zu Hause wird der Rucksack in die Ecke geschmissen und die Schule verdrängt. Internet an. ICQ an. 36 Nachrichten von Freunden, die ebenso Freidenker und Außenseiter sind, wie ich. Leute, die nicht desillusioniert und resigniert sind, aber enttäuscht von Versprechen, die nicht gehalten wurden.
Sie erzählen mir, was sie erlebt haben, was für ungeheuerliche Sachen passiert seinen und stehe ihnen mit Rat und Tat zur Seite.
Wieder ein Blick auf die Uhr. 18:47.
Ich verabschiede mich von meinen Freunden mit der Aussage, dass ich noch ein wenig Ruhe bräuchte.
Ich schließe ICQ und starte einen Ego-Shooter. Eine schwierige Stelle und ich schaffe es nicht, den Gegner zu erledigen. Trotz meiner Fähigkeiten, die ich, seit ich 12 bin, perfektioniert habe. Vielleicht, weil ich gerade nicht ganz bei der Sache bin.
Ich bin tot.
So steht es zumindest ganz groß auf meinem Bildschirm. Unweigerlich muss ich lächeln.
Mein Gegner hat seinen größten Widersacher- mich- erledigt. Die Welt geht unter in einem großen Chaos und schließlich mit einen noch größerem Knall.
Ich beende das Spiel. Ich kann ja morgen weitermachen. Ich habe ja gespeichert...
 
Super geschrieben! Bei deinen Blogs schaffe ich es immer mit Freuden bis zum Ende zu lesen.
 
@ Moviesteve:
Das ist mein Ziel. Zu beweisen, dass es immernoch einige wenige von uns gibt, die ihr grauen Brötchen im Kopf einschalten können und anschließend sogar benutzen.

@ Quarkhase:
Immer wieder gern! Schön, mal wieder etwas von dir zu lesen =)
 
Geschichte, die wie ein Kurzfilm im Kopf
ankommt! Deine Bildersprache ist wirklich
gelungen! Ein großes Talent, daß dir in die
Wiege gelegt worden ist!
 
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