Eine Branche erhebt sich

Goemon

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Als in den siebziger Jahren die ersten Heimkonsolen auf den Markt kamen, hatten sie einen ähnlich guten Stand wie heutzutage Pilotencockpits für den Heimgebrauch. Sie waren verdammt teuer, die Technik eher bescheiden, die spielerischen Möglichkeiten waren begrenzt und viele Haushalte hatten noch nicht einmal einen Fernseher. Hinzu kamen generelle wirtschaftliche Einbrüche und die Konkurrenz durch PCs. Daher sind viele der damaligen Hersteller heute in Vergessenheit geraten. Wer erinnert sich schon noch an Spielekonsolen von Interton, Coleco, Vectrex, Channel F, Philips oder Grundig? Natürlich fanden sich hinreichend Anhänger, zumeist Kinder und Nerds, die die Marktlücke Computerspiele durch hinreichendes Interesse fütterten, um ein Wachstum der Hard- und Software voranzutreiben, doch blieb die Zockerkonsole lange ein Nebenprodukt des Elektronikhandels.

Die mühsamen Achtziger
Die Rezession ging und aus der Asche erhoben sich die Dauerkonkurrenten Sega und Nintendo, die nebst ihrem Computer-Mitstreiter Atari um die Gunst der Spielekäufer buhlten. Bei all den Versuchen technischer Innovation etablierten sich einige feste Marken, die noch heute weltbekannt sind. Mario, Link, Mega Man, Samus, Sonic, Mortal Kombat, Street Fighter und Final Fantasy sind noch immer feste Größen ihrer Genres. Dies war die Geburt des modernen virtuellen Spielkonsums. Die Konsolen waren durch Vielseitigkeit, Optik und Spielbarkeit der Games nicht mehr nur zentraler Lebenszweck von Nerds, sondern konnte ganz schamlos auch von Jugendlichen und jungen Familienvätern zum Zeitvertreib des Abends ernannt werden. Gleichzeitig verhinderten ein oftmals hoher Schwierigkeitsgrad und lange Einarbeitungszeiten die Akzeptanz beim breiten Volke.

Doppelte Leistung ? doppelter Spaß
Dennoch dauerte es bis zum Beginn der Neunziger, dass die robusten 8-Bit-Maschinen von ihren 16-Bit-Nachfolgern abgelöst wurden. Hiermit gelang nun auch der weltweite Durchbruch im Revier der Familienunterhaltung. Videospiele wurden grafisch ansprechend, Anfänger-freundlich und damit massentauglich. Sie hatten nunmehr ihren festen Platz neben Barby-Haus, Carrera-Rennstrecke und Farbfernseher erarbeitet, was für neue finanzielle Impulse sorgte. Softwareentwickler sprossen aus dem Boden, alte Programmierhasen wurden für viel Geld angeworben oder ihre Büros komplett aufgekauft. Sicher geschahen derlei Dinge schon vorher, blieben jedoch aufgrund geringer gesellschaftlicher Aufmerksamkeit weitgehend unbedacht. Waren die versofteten Entwicklerträume zehn Jahre zuvor noch Spielkram ohne Zukunft, mussten sich nunmehr alle Unterhaltungsmedien mit einem ernsthaften Konkurrenten herumschlagen. Der Handel mit speziell zugeschnittenem Zubehör, Zeitschriften und Merchandise-Artikeln erblühte unter Obhut des neuen und alteingesessenen Publikums.

Die Erfindung der Dreidimensionalität
Der Sprung zu 32 Bit geriet relativ chaotisch und wurde in seiner Hektik schnell von der 64-Bit-Generation abgelöst. Über 32 Bit hört man heute niemanden mehr ernsthaft sprechen. Für finale Verwirrung sorgte ein neuer Anbieter, der mit dem Medium CD ganz neue Speicherkapazitäten auf die Heimkonsole brachte. Waren Softwareentwickler vorher schon aus dem Häuschen, gerieten sie nun völlig aus der Stadt. Schier gigantische Datenmengen konnten für wenig Geld in die Lustobjekte der geneigten Zocker geschaufelt werden. Jenes Medium trug zwar die Gefährdung durch Raubkopierer in sich, sorgte aber dennoch für reißenden Absatz und eine immense Anzahl verfügbarer Titel, schließlich zahlte man für eine Million CDs nur den Bruchteil des Herstellungspreises der gleichen Anzahl Cardridge-Spiele. Kritikermeinungen nach denen der durchschnittliche PlaySation-Käufer daheim zwei käuflich erworbene Spiele und ein paar Dutzend Raubkopien hätte, sind natürlich nur mutmaßlich Werte. Die tatsächliche Zahl ist vermutlich weit erschreckender. Dennoch wurde Sony zum neuen Marktführer der Branche, verwies Nintendo auf den zweiten Platz und Sega letztendlich in seine Schranken.

Der nächste bitte?
Der Schritt zur folgenden Konsolengeneration verlief weniger spektakulär, schließlich war die Stufe des echten 3D-Gameplays bereits erreicht. So verstieg man sich hauptsächlich auf Verbesserungen in der Steuerung und in grafischen Qualitäten. Schöner, runder, realistischer musste es werden. Umfangreich, Benutzer-freundlich und atmosphärisch war ohnehin Pflichtprogramm. Die Zeiten in denen sich mal eben ein paar ambitionierte Programmierer in der Garage trafen und ein Spiel des Jahres schrieben, waren gezählt. Inzwischen saßen ganze Teams von zwanzig Mann oder mehr mit starkem finanziellem Rückhalt an neuen Projekten, die mit terminlichem Druck im Nacken und unter ständiger Presseaufsicht ihre jeweiligen Fangruppen bedienten. Microsoft drängte von der Seite ins Geschäft hinein und vervollständigte die Auswahl der Konsolen wieder auf drei.

Heutiger Stand
Mittlerweile rechnet niemand mehr in Bit, verfügbarer Titelanzahl oder Speicherkapazität. Computer- und Videospiele haben ihren eigenen Markt gebildet, inzwischen heißen die Verkaufsargumente DirectX10, 12fach-Shader, Partikelnebel, Blur-Effekt, Anti-Alliasing und Texturqualität. Und weil sich das ganze kein normaler Mensch merken kann, stellen Fachzeitschriften und Fachmärkte ihre Kompetenz dem geneigten Kunden zur Verfügung. Ganze Warenhaus-Etagen werden mit Konsolen, Computern, Zubehör und Spielen gefüllt, einzelne Publisher fahren jedes Jahr Gewinne von 200 Millionen Dollar ein, während die Konsolenhersteller derlei Absätze manchmal fast in einer Woche erreichen. Der Markt boomt, wie man auf neudeutsch sagt. Inzwischen sind die meisten großen Entwickler sogar an der Börse verzeichnet, was Aktienkäufer beflügelt sich ebenfalls mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es vergeht kaum ein Monat in dem nicht von irgendwelchen Fusionen, Übernahmen oder Abspaltungen zu lesen ist, demnach ist die Branche der elektronischen Spiele sogar fast dynamischer als jene der Kraftfahrzeuge oder Erfrischungsgetränke.

Traditionelle Spielehersteller wie Mattel oder Hasbro fühlen sich zunehmend bedroht und haben längst begonnen eigene Marktanteile an ihrer wachsenden Konkurrenz zu kaufen, meist in Form von Aktienpaketen und Entwicklerstudios. Die Filmindustrie zeigt ebenfalls großes Interesse, denn mit einigen Spieletiteln kann man sehr gut etablierte Marken erwerben. Dies geriet nunmehr zu einer dauerhaft wechselseitigen Beziehung, die zwar auf beiden Seiten viel Ramsch, aber noch viel mehr Profit erzeugt hat.

Fazit
Aus den popeligen Nerd-Kästen der Siebziger erwuchs eine eigene wirtschaftliche Kraft. Eine omnipräsente Macht, welche die globalen Finanzmärkte umspannt. Es gibt Zielgruppenanalysen, Werbestrategen, Imageberater, Prüfstellen und Fachhändler. Ja, selbst eine eigene E-Sport-Gemeinschaft konnte sich bilden, die sich ausschließlich mit dem Thema virtueller Spiele beschäftigt und bei all den medialen Entwicklungen von Spieledownloads bis BluRay-DVD ist es mittlerweile fraglich, wie lange die klassische Konsole in dieser Form noch existieren kann. Schließlich ist sie kein Nischenprodukt mehr, sondern ein fester Standart der multimedialen Unterhaltung. Eines ist gewiss: Spielekonsolen sind Bestanteil eines eigenen Marktes und sie werden sich weiterentwickeln, wie sie es immer getan haben. Die Richtung wird dabei maßgeblich von den Käufern mitbestimmt.
 
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