Gestern wollte ich ausgehen...

SirDaniel

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...mal wieder so richtig... Gute Musik - Bier - gut gelaunte Leute - Tanzen - mal wieder abschalten...
Feiertage sind schlimm - ich kann sie alle nicht leiden. Geburtstage - Weihnachten - Ostern: Konsumsucht - "Geschenkzwang" - Osterhasen - Religiöser Kram - zwanghaft fröhliche Menschen - volle Kaufhäuser - peinliches Benehmen nach überhöhtem Alkoholkonsum bei ansonsten so korrekt wirkenden Individuen...
An diesen Tagen bin ich immer schlecht gelaunt...praktisch chronisch deprimiert. Ich möchte mich auf die Strasse stellen und schreien,
"Versteht ihr nicht, dass all eure Leben sinnlos sind? Versteht ihr nicht, dass alles was ihr im Leben macht nie etwas bewirken wird? Versteht ihr nicht, dass wenn ihr nicht dawärt, die Welt immer noch dieselbe wäre?".
Aber ich lasse es bleiben. Keiner würde mir zuhören, und die, die es würden, hielten mich für verrückt... Höchstens der Alkoholiker auf der Parkbank, bewaffnet mit zwei Plastiktüten voller Bierdosen, würde mir zustimmen und mich mit seiner frustrierenden Lebensgeschichte beglücken...
Wie dem auch sei - gestern wollte ich ausgehen. Ein Konzert. Alleine. Nicht dass ich keine Freunde hätte. Sie sind nur alle "vergeben"... Zu Gast bei Freundinnen und deren Familien oder wie sowas auch immer abläuft...
"The Skatalites" wäre es gewesen. Vielleicht zum letzten mal. Seit über 40 Jahren spielen diese schon Musik. Irgendwann wird mal Schluss sein müssen, und vorher wollte ich unbedingt noch einmal rein. Aber schon am Bahnhof trifft mich der erste Dämpfer. Zwei Jungs, vielleicht 15... höchstens 16. Mit einem Pullover, auf dem ein "Punk's not Dead"-Schriftzug prangt. Wie man sie kennt, frisch bestellt aus dem EMP-Katalog. "Bestellkatalog-Punks" hätte ich sie vor einigen Jahren noch genannt... Vor langer, langer Zeit. Mit dem Drang zum Exhibitionismus. Wäre damals heute, wäre ich auf die Strasse gestanden und hätte geschrien. Doch jetzt nicht mehr. Die Freude am denunzieren der pseudo-Linken, die in Pullovern mit dem Portrait von Ernesto Che Guevara herumlaufen, ist mir vergangen.
Sie trinken Bier, die zwei... und zwar fleissig. Und zwar das billigste vom billigsten. Kulturbanausen. Und nachdem ich einige Minuten meinen Frust über die Welt auf diese zwei Gestalten projeziert habe, kommt die Strassenbahn angekurvt. Ich steige ein. Die zwei auch. Natürlich haben sie das gleiche Ziel wie ich. Die Fahrt stimmt mich nachdenklich. Eigentlich ist es keine Wut sondern blanker Neid, denke ich mir. In diesem obskuren "Früher", von dem immer die Rede ist... Da durfte ich auch noch so rumlaufen, mich daneben benehmen, auf offener Strasse schreien. Die Konsequenzen kannte man noch nicht, man fürchtete sich nicht, man war frei von Ängsten. Aber auch diese Zwei wird es irgendwann erwischen... Auch sie werden die Erfahrungen machen müssen, die ich gemacht habe. Auch sie werden ihre Ideale irgendwann gegen ein Leben in der richtigen Welt eintauschen. Ein paar Schläge mit dem Gummiknüppel - ein paar Nächte im Knast. Dann: Jobsuche. Wohnungssuche. Und ehe man sichs versieht werde ich die zwei mit Kravatte hinter dem Schalter einer UBS-Filiale wieder sehen - und sie vermutlich nicht wiedererkennen. Die Welt hat gewonnen, der Idealismus verloren. "Some ideal ideology, that no one could hope, to achieve" hat Conor Oberst mal gesungen... ich wette er ist auch deprimiert an Feiertagen.
*kling* Aussteigen.
Ich stehe vor dem Kasernenareal. Hier, wo vor vielen Jahren, zu einer Zeit wo ich noch lange nicht gelebt habe, noch die schweizer Armee marschiert ist, herscht heute ein reger Kulturbetrieb. Konzerthallen, Kaffees, Theatersääle, eine Synagoge, ein Schulhaus... Ein schöner Ort. In den letzen Monaten kamen leider Pläne auf ihn zu ändern. Die vorhandenen Betriebe rendieren zu wenig - der Staat will nicht noch mehr Subventionieren. Das Symphonieorchester kriegt zweistellige Millionenbeträge, dieses Areal hier im Gegensatz fast nichts... Politiker mögen halt die "Alternativkultur", wie ich sie mal schüchtern nennen möchte, nicht besonders...
Die Schlange vor dem Eingang ist lang. Sehr lang. Ich mag keine grossen Konzerte. 300 - höchstens 500 Leute - dann gehts abwärts mit der Qualität.
Ich laufe neben der Schlange hin und her, versuche ein bekanntes Gesicht zu entdecken, jedoch vergebens. Ich fühle mich "overaged". Es scheint mir, dass ich der einzige bin, der aus seinen früheren Tagen wenigstens noch seinen Musikgeschmack erhalten konnte. Und auf diesen bin ich stolz.
Plötzlich erblicke ich die beiden Bestellkatalog-Punks. Sie haben sich inzwischen zu einer grösseren Gruppe zusammengerauft. Schicken irgendwelche Songs mit ihren Handys hin und her. In ihrer "Phase" hätte ich sowas nie gemacht. Mobilfunkanbieter, sie gehörten zusammen mit Banken, Medienunternehmen, und Energiekonzernen zu den ausgeburten der Hölle... Aber sowas scheint heute nicht mehr zu zählen. Was zählt ist der Exhibitionismus. Der heutige Punk ist nur eine andere Version des Türken (ich entschuldige mich für den kurzfristen Anflug von rassistischen Vorurteilen), der mit seinem hochgemotzten Auto mit lauter Musik über die belebtesten Plätze der Stadt fahren muss - Lebende Schaufensterpuppe auf dem Beifahrersitz inklusive.
Und nachdem ich mich wieder mal richtig in eine Depression hineingesteigert habe, denke ich mir: "ich gehöre hier nicht mehr her. Alles ist nicht mehr so wie es mal war, wie es sein sollte. Und bleiben sollte. Für immer."
Wäre ich nicht alleine unterwegs gewesen, wäre ich sicher trotzdem hineingegangen, hätte den ganzen Abend Witze über den Zerfall der Kulturen gerissen und mich danach etwas besser gefühlt - aber heute nicht.
Also mache ich mich wieder auf den Heimweg, noch schlechter gelaunt als bei der Hinfahrt. Nach Hause - zum Haus meiner Eltern um genau zu sein. Vor einer Woche habe ich nach gut einem Jahr meine Freundin verlassen. Seither ist die Stimmung in unserer gemeinsamen Wohnung verständlicherweise etwas gedrückt - und dass ist jetzt nicht gerade das, was ich noch brauche...
Obwohl ich nicht gerne in mein Elternhaus zurückkehre. Ich bin hier nur noch 3 Jahre zur Schule gegangen bevor ich mich wieder andreweitig orientiert habe. Hier habe ich keine Freunde. Ich kenne kaum jemanden, und offen gesagt, ich hasse dieses Dorf, ich habe es immer gehasst...
Nunja, die Wahl ist ja im Moment sowieso nicht da.
Zuhause angekommen sind alle wieder einmal schrecklich gut gelaunt. Sie gehören zu den Leuten, die sich lange auf solche Feiertage freuen um sich dann ein bisschen gehen zu lassen. Da ist nichts dagegen einzuwenden. Ich persönlich finde die Vorstellung absurd, einen Feiertag zu brauchen um mich gehen zu lassen...
Ich lege mich ziemlich schnell mal schlafen. Leichter gesagt als getan - mit vollem Kopf schläft sichs bekanntlich schlecht ein. Stöpsel in die Ohren und iPod ein...
Tomte singt: "Das ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Erde die sich dreht"
so möchte ich auch denken können...
 
...nach einem Scheiss-Abend!:(
Bei dir scheint ja auch grad ein bisschen viel zusammen zu kommen, von daher sind deine Antennen feinfühlig eingestellt. Im Prinzip weiss ich was du meinst und wünsche dir, dass du bald wieder bessere Zeiten bekommst! "Bestellkatalog-Punks" lol:)
 
Exzellent hobbyphilosophiert, Dan, soviel Weisheit sollte in jungen Jahren verboten sein :)
Je mehr man sinniert und bestimmte Normen erkennt, desto mehr verbaut man sich den eigenen Spaß und die Freiheit. Die Last der Nachdenklichkeit - nimmt mitunter boshaft ironische Züge an.
 
bei schlechtester psychischer Verfassung:;D

Gute Besserung. Schreib doch mal wieder, oder gehts dir zu gut zur Zeit?
 
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