Krawall im Kaukasus

Goemon

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31.08.2008
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Seit einigen Monaten tobt am schwarzen Meer wieder der Schusswaffen-Bewehrte Bär. Die Kontrahenten haben kaum zwei Tage gebraucht um weite Landstriche mit tiefen Narben des Krieges zu durchziehen. Zeit für eine kleine Chronik der georgisch-russischen Beziehungen. Für Geographie-Legastheniker sei noch kurz erwähnt, dass Georgien dieser grün-braune Fleck östlich des schwarzen Meeres ist, der über den großen Kaukasus nach Norden an das sowjetische Kerngebiet, Russland, grenzt. Wem keiner der genannten Geländemarkierungen ein Begriff ist, findet an dieser Stelle eine hervorragende Gelegenheit den Umgang mit GoogleEarth zu üben.

1992
Südossetien trennt sich offiziell von Georgien, um seinem großen Bruder Nordossetien näher zu kommen. Seitdem ist militärische und aufständische Gewalt ein ständiger Begleiter in der wirtschaftlich kaum bedeutenden Region.
In seinen Absichten bestätigt, sagt sich Abchasien ebenfalls von Georgien los. Dessen Regierung reagiert mit Truppeneinzug um das Territorium zu behalten.

1993
Bei rebellischen Ausschreitungen sterben einige tausend Menschen. Weder Abchasien noch Südossetien stehen fortan wirklich unter georgischer Kontrolle, obwohl sie offiziell dazugehören. Immer wieder kommt es zu Kämpfen, obschon nicht der Status eines Bürgerkriegs erreicht wird.

1999
Abchasien erklärt kraft eigener Arroganz seine Unabhängigkeit, was von der Welt bestenfalls ignoriert wird. Es hagelt Embargos, was die hauptsächlich landwirtschaftlich orientierte Region aufgrund blühender Verbindungen zu Russland nicht weiter stört.

Februar 2008
Die Beziehungen zu Russland sind auf dem Weg zur Besserung. Georgien unterstützt gar die Aufnahme ihrer sowjetischen Nachbarn in die Welthandelsorganisation (WTO). Mit der Wiederwahl des Präsidenten Saakaschwili beginnt ein innerpolitischer Konflikt, da die Opposition diese demokratische Entscheidung nicht anerkennt. Am 14.2. stirbt Oppositionschef Patarkazischwili, laut britischen Ermittlern eines natürlichen Todes, was die Ereignisse noch verkompliziert.

Abchasien und Südossetien distanzieren sich deutlich von Georgien. Einige ihrer Bevölkerungsteilnehmer erlangen russische Staatsbürgerschaft, was Georgien sogleich gerichtlich überprüft und für nichtig erklärt. Erste Spannungen zwischen beiden Parteien werden durch sowjetischen Truppenabzug gelöst. Gleichzeitig laufen Verhandlungen um einen NATO-Beitritt von Georgien und Ukraine. Jene gestalten sich allerdings vor dem Hintergrund der starken Zersplitterung jener Länder sehr langatmig.

März 2008
Russland löst seine Handelssanktionen mit den abtrünnigen Provinzen Georgiens, was jene gern zum Anlass nehmen, um Aufnahme in das russische Staatensystem zu ersuchen. Kosovo hatte es schließlich vorgemacht, was sollte da schon schief gehen? Was die Rebellen anscheinend nicht beachtet hatten, ist der jahrzehntelange Zwist der über dem Kosovo schwebt und dem frischgebackenen Land mehr Massengräbern als Ameisenhügeln beschert. Offensichtlich ist die Anzahl der toten Georgier noch nicht hoch genug, um die Abspaltung einzelner Regionen zu gewährleisten. Jenes Tauschgeschäft mit vielen Unbekannten verschreckt georgische Anwohner und sorgt (wieder einmal) für erhöhte Militärpräsenz.

Während seiner Europa-Reise turnt Präsident Bush auch quer durch den Kaukasus und zeigt damit Russlands Präsident Medwedew die lange politische Nase. Letzterer stampft daher besonders laut mit dem Fuß auf und droht allen Unterstützern der USA mit der Faust. Das sieht gut aus und ist auch bitter nötig, schließlich hat man gerade erst den Kosovo verloren, da droht Tschechien schon mit dem Bau einer amerikanischen Radaranlage, was den sowjetischen Sandkasten ganz empfindlich zerwühlt.

April 2008
Der NATO-Beitritt ist urplötzlich vom Tisch und Saakaschwili verfällt in eine kurze Apathie. Moskau sieht seine Zeit gekommen, annektiert Abchasien und Südossetien und entsendet Truppenverbände in die entsprechenden Regionen. In Russland nennt man sie "Friedenstruppen", in Georgien läuft die Aktion unter "direkte Aggression gegen den Staat". Folglich erbittet Saakaschwili nun rund um den Globus diplomatische Hilfe. Rufe die ungehört bleiben, schließlich haben alle Industrienationen mit sich selbst und ihren Finanzmarkt-gebeutelten Brieftaschen zu tun. Mitten im Chaos beginnen Debatten um militärische Drohnen, die auf unerklärliche Weise verloren gehen. Mal sollen die Gegenspieler schuldig sein, mal werden eigene Streitkräfte für den Abschuss verantwortlich gemacht. Irgendwie sieht keiner mehr durch im georgischen Wirrwarr, was die ach so armen Regionen Abchasien und Südossetien allerdings nicht davon abhält weitere Drohnen zu verheizen. Der unmittelbare Erfolg ist offensichtlich: Russland wird in seinen zukünftigen Bonuskolonien omnipräsent.

Mai 2008
Die NATO kann sich allmählich sammeln. Sie entsendet eine Handvoll Krieger an die neue russisch-georgische Grenze und fordert neben konstruktiven Gesprächen die Wiedereingliederung der abtrünnigen Provinzen in das georgische System. Der seit jeher nicht nach Kommunikation strebende Präsident Medwedew kritisiert diesen unwirtschaftlichen Plan und fordert seinerseits einen Abzug der NATO.

Juni 2008
Der Zank eskaliert als weitere Drohnen vom Himmel fallen und Bombenanschläge Abchasien erschüttern. Längst geht es nicht mehr darum, wer zuerst mit dem Schäufelchen geworfen hat, sondern um strategische Machtübernahme wichtiger Punkte im großen kaukasischen Buddelkasten. Doch während Mama Russland sich in Abchasien häuslich einrichtet, weiß Saakaschwili nicht, an wessen Tür er zuerst um Hilfe bitten soll.

Deutschlands Frank-Walter probiert sich fortan in Ermittlungsversuchen, doch Medwedew spaltet jede verbale Luftbrücke in seine Einzelmoleküle auf. Immer wieder verkündet er ungefragt wie Georgien die Bewohner der neuen russischen Provinzen gemobt und terrorisiert hätte. Erwartungsgemäß kann niemand irgendetwas beweisen, sodass weiterhin keine internationale Hilfe gewährleistet werden kann. Ganz nebenbei verhelfen die Vorboten eines drohenden Krieges dem alten und neuen Präsidenten Saakaschwili zur Wiederwahl, denn in all dem Tumult geht das Gebrabbel der Opposition schlichtweg unter.

Juli 2008
Russland stockt auf. Explosion hier. Georgien stockt auf. Explosion dort. Frank-Walter lässt machtlos die Schultern fallen. Die Welt schüttelt den Kopf.

August 2008
Russische Lastwagen fahren einige tausend Frauen und Kinder von Süd- nach Nordossetien. Am 8.8. fliegen Bomben und Gewehrprojektile und sorgen für blutige Verluste auf beiden Seiten. Nach kaum zwei Tagen Krieg hat Russland die Schlacht für sich entschieden und schickt seine Panzerverbände in Richtung der georgischen Hauptstadt Tiflis. Fernsehbilder zeigen deutlich wie Ali Medwedews vierzig Räuber aus frisch geschaufelten Tunneln stürmen, sich verschanzen und Presseflegel grob zur Seite schubsen.

Zeitgleich entspringt dem Schlachtfeld ein Flüchtlingsdrama als beinahe die gesamte Bevölkerung Südabchasiens in sowjetische Obhut flüchtet. Moskau erhält hiermit neuen Zündstoff für seine Anschuldigungen, kann also die annektierten Provinzen vorerst für sich behalten. Wie vom Blaubär gebissen erfinden beide Seite wilde Lügengeschichten über die böswillig agierende Gegenpartei, was die Situation freilich nicht angenehmer macht. Letztendlich gelingt Russland die finale Zerstreuung internationaler Aufklärung und schiebt seine Truppen fast auf Sichtweite von Tiflis. Wenn man wollte, wäre Georgien innerhalb einer Woche russisches Territorium.

September 2008
Medwedew erklärt die Integration Südossetiens und Abchasiens in sein Zarenreich und verspricht im gleichen Atemzug den Abzug seiner Soldaten aus Georgien. Mehrmals. Doch während der Oberzar spricht, sieht der geneigte Fernsehzuschauer russische Panzerverbände gen Süden rollen und Soldaten sich einbunkern. Erst als das Heer gegen Mitte September seine Wodka-Vorräte geleert hat, startet die Rückkehr in die Heimat. Erneut lügen die Medien uns an: sie zeigen russische Soldaten beim Plündern und Brandschatzen, während Moskau die friedliche Abreise seiner Truppen bestätigt. Doch die optische Berichterstattung schwindet, da Kameras häufiger das Opfer von körperlichen Übergriffen werden. Erneut sprengen Explosionen ganze Bahngleise entzwei, nur sind diesmal keine Georgier in der Nähe denen man die Tat anlasten könnte. Sehr seltsam! Fast könnte man meinen, dass die Sowjets ihre Party zu einem wahrhaft pompösen Abschluss bringen wollen.

Oktober 2008
Die russischen Panzer sind wieder zu Hause angekommen. Medwedew brummt in die Kamera und verlangt eine Weiterverhandlung seiner Beziehungen zur WTO. Er hat ja nun, was Russland wollte und kann die Staatsgeschäfte wieder aufnehmen. Saakaschwili will schneller denn je unter den Stachelpanzer der NATO. Abchasien und Südossetien bleiben vorerst politisches Niemandsland unter sowjetischer Fürsorge und es ist an den internationalen Gremien, herauszustellen welche Zukunft für jene Provinzen die richtige wäre. Russland kann mit allem zufrieden sein was die Lage im Kaukasus destabilisiert, da es seine eigene Position frisch gestärkt sieht. Georgien hingegen ist sehr daran gelegen, seine Grenze etwas einfacher zu ziehen und das Land vor allem als Gesamteinheit zu führen.

Sowohl UN als auch US-Generalstab beraten angestrengt über das heikle Thema. Aber bislang fand man keinen beidseitig angenehmen Kompromiss.
 
Inzwischen gibt es seitens der EU ordentliche Milliarden für Wiederaufbau und Umstrukturierung. Alles unter Aufsicht und verbunden mit dicken Auflagen. Ich hege große Hoffnung für Prometheus. Ist wohl auch zu nah an Europa um es wegschweigen zu können.
 
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