Milchmädchenrechnung

Goemon

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Erst im Juni bäumte sich der deutsche Milchmarkt auf. Na ja, also eher so ein gebücktes Auflehnen, eine Art lautes Grummeln, ein melodisch geführter Protest, der über Lieferengpässe und Produktionsstopps zur Verknappung des Grundstoffs Milch führen sollte. Hat nicht ganz so funktioniert wie geplant. Nicht nur dass die dummen Kühe dank kombinatorischer Kreuzungsexperimente und zahlreicher chemischer Futterzusätze stetig weiter produzierten, weshalb tausende Tonnen Milch verschenkt oder verschüttet wurden. Die fehlende Masse wurde auch noch locker durch Händler aus Europa und Übersee ausgeglichen. Letztendlich haben sich die Molkereien mit ihren deutschen Zulieferern auf eine finanzielle Neuorientierung geeinigt, die den Bauernverbänden ein etwa 5% höheres Einkommen sicherte, wodurch die Verkäufer ihre Preise wiederum um 10% steigern mussten. Der Milchgroßhändler (im Volksmund oftmals auch als "Bauer" bezeichnet) zeigte sich erfreut, setzte sich zurück hinter den Schreibtisch und führte die biogene Getränkeherstellung fort.

Kollision mit der Marktwirtschaft
Nun macht ja heute dank MMORPGs jeder Zehnjährige bereits einschlägige Erfahrungen mit den Regeln des Marktes. Angebot, Nachfrage, Überproduktion und Bot-Farming sind für Onlinerollenspieler längst wohl bekannte Dünkel. Warum sollte ich meine Epischen Gegenstände teuer auf dem deutschen Rüstungsmarkt kaufen, wenn freundliche koreanische Kinderhände mir dasselbe zu einem Drittel des Preises anbieten? Warum Gold selber erarbeiten, wenn es mir von netten Kinderarbeitern fast hinter geworfen wird? Nachdem der außereuropäische Handel so gut mit Deutschland kooperierte wie Südkorea mit hiesigen Online-Suchtopfern, hätten WoW-Spieler die Wende demnach kommen sehen können, wenn sie nur ihre Pickelgesichter vom Blutelfenhintern abwenden könnten.

Jetzt stehen die selbsternannten Agrarökonomen vor einem erneuten Preissturz, denn die Juni-Verträge sind ausgelaufen, ohne dass sich Aldi Süd und Konsorten um neue Verträge bemühen würden. Wozu auch? Die Großbauer-Idioten fahren noch immer exakt die gleiche Produktionsstrategie, die schon zum Juni-Desaster führte. Supermarktketten haben einen scharfen Blick auf die Gesamtrechnung geworfen und verhökern Milchprodukte nun für 20% weniger als zuvor. Den Landesbauernverbänden waren angeblich schon die bisherigen Gelder zu gering, um rentabel wirtschaften zu können. Komisch, mitgemacht hat man doch trotzdem?!

Staat sei Dank
Wenn also klar ist, dass Murky und Gurky keine Eier legen, warum füttert man sie dennoch weiter? Vor zehn Jahren haben die Viehhalter noch gejammert, ihnen wären die Milchquoten viel zu niedrig und sie könnten mehr verdienen wenn sie mehr produzieren dürften. Das Problem erledigt sich in fünf Jahren zum Glück von allein, wenn diese Quotenregelung endlich wegfällt. Dann ist der Markt offen für Billigimporte aus der ganzen Welt, die Landwirtschaftler können final im Boden versinken und der Kunde freut sich über ostsiamesische Pulverpräparate deren koreanische Inhaltsanzeige durch ihre Unverständlichkeit jegliche Angst vor internationalen Lebensmittelgiften nimmt. Doch halt! Es gibt ja noch Bundesrat und EU-Kommission, die beide Rettungspakete für gescheiterte Agrar-Existenzen planen, damit die Marktöffnung nicht etwa die Symptome eines offenen Marktes zeigt, sondern die eines streng kontrollierten. Bei der Fleischerzeugung funktioniert das schließlich auch, wie ein kritischer Blick auf Gammelfleisch, Überproduktion und EU-Beihilfen zeigt.

Gold vom Lande
Mein Bio-Bauer um die Ecke zeigt sich von jenen Verwicklungen gänzlich unberührt, verkauft mir den Liter Joghurt weiterhin zum Festpreis plus Flaschenpfand. Da er nicht an der Industrialisierungsnadel hängt, geht ihm das Diktum dilettantischer Großabnehmer ziemlich ungeniert am Rektum vorbei. Seine Familie hat vor fünfzig Jahren von den Erträgen des Hofes gelebt und sieht auch für die Zukunft keine problematischen Veränderungen voraus. Immer schneller und immer mehr gehörten nie zu seinen Ambitionen, seine Kunden danken es ihm mit stetem Konsumdrang. Und auch wenn andere Bauern schönere Murlocs im Angebot haben, Konkurrenz aus Korea fürchtet er nicht.
 
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