Planlos im Steuerland

Goemon

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Zum Glück ist heute Reformationstag, da haben wir alle Zeit und zu entspannen, Taschentücher zu bügeln, die Ereignisse der letzten Tage zu rekapitulieren, Resident Evil 4 erneut durchzuspielen und die Aussagen der vergangenen Woche zu überdenken. Oh, katholisch geprägte Bundesländer erfahren da wohl eine kleine Benachteiligung. Hallo Fürth!
Da ich mit dem zocken immer warten muss bis die Sonne die Ostseite unseres Hauses verlassen hat und meine Taschentücher noch in der Wäsche sind, ist bei mir die Reihenfolge der Aktionen ziemlich determiniert.

Die interessanteste Initiative auf Bundesebene ist momentan die Steuerreform für Kraftfahrzeuge. Bereits vor anderthalb Jahren erbrachte Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee den Vorschlag, die Kfz-Steuer auf den CO2-Ausstoß umzustellen und somit am Emissionsbetrag zu orientieren. Von einem SPD-Mitglied ist diese Forderung schon beachtlich, zeigt sie doch einen Anflug von Interesse an globaler Verantwortung. Die etwas später erfolgte Entscheidung zur bundesweiten Einführung von E10, dem Benzin mit erhöhtem Ethanol-Anteil, war ebenfalls gut gemeint, scheiterte aber an mangelhafter Absprache mit den Automobilkonzernen, die mehrfach technische Unzulänglichkeiten ihrer Produkte proklamierten. Ethanol in der vorgeschlagenen Menge von 10% des Gesamtgemischs zerfrisst nämlich Leitungen und Motor, was zu unangenehmen Ausfällen im Fahrzeug führen kann. Etwa vergleichbar mit jenem Effekt, der mein Vehikel bei Colin McRae: Dirt entschärft, wenn mir unvorsichtige Bäume den Motorblock zerbeulen. Die Wahrheit war naturgemäß ganz schön lange unterwegs (etwa ein halbes Jahr), konnte die Revolution aber gerade noch rechtzeitig verhindern.

Better Luck Next Time!
Doch Tiefensee gibt nicht auf, zeigt sich weiterhin bemüht, seiner verantwortungsvollen Rolle gerecht zu werden. Das ändert am mittelmäßigen Ergebnis nichts, zeigt aber immerhin, dass Wolfgang während des Unterrichts nicht schläft, wie der große Rest seiner SPD-Freunde. Zielsetzung des neuen Finanzpäckchens ist eine Kombination aus CO2-Verantwortung und Wirtschaftshilfe. Neuwagen will man für ein Jahr von der Kfz-Steuer befreien, umweltschonende Fahrzeuge sogar zwei Jahre. Dieser Plan schafft bei potenziellen Kunden Anreize für einen Autokauf und kurbelt somit die Automobilindustrie wieder an, was bei der gegenwärtigen Marktsituation durchaus vernünftig scheint. Doch wie schon zuvor ergeben sich Komplikationen mit anderen Ämtern, da es Tiefensee erneut versäumte, sich mit seinen Klassenkameraden zu unterhalten. Die besagte Steuer wird nämlich auf Landesebene abgeschöpft, und steht daher etwas außerhalb der bundespolitischen Kontrolle, weshalb Landeschefs nun Alarm schlagen. Schließlich fehlten ihnen nach dieser Neuregelung jeweils mindestens 50 Millionen Euro im Haushalt 2009. Whoops!

Als weiteres Problem drängt sich Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen, ins Bild: "Unter dem Deckmantel von Investitionsprogramm und Klimaschutz schieben sie uns so eine Art Sommerschlussverkauf für alte Spritfresser unter." Aus irgendwelchen Gründen hat sie Probleme damit, Steuerfreiheit für einen Fabrik-neuen Porsche Cayenne zu vergeben. Sei?s drum, unseren Auto-Herstellern, Super-Arbeitgebern und Besserverdienern wird Aufmerksamkeit durch die Regierung zuteil und jene wird den Fall nach tradierter Methode zu Gunsten der Konjunktur lösen. Also Anreize beim Käufer schaffen, damit die Konzerne höhere Einkünfte bekommen.

Die Konkurrenz schläft nicht permanent
Arbeitsminister Olaf Scholz (ebenfalls SPD) bastelt derweil an einem "Schutzschirm für Arbeitsplätze", um die deutsche Wirtschaft trotz der Einflüsterungen Künasts noch zu retten. Zentraler Vorschlag ist derzeit die verlängerte Zahlung des Kurzarbeitergeldes von 12 auf 18 Monate. Bei der Koalition stößt dies auf ungeteilte Zustimmung. Klar, Kurzarbeiter fallen trotz Minimallohn nicht in die Arbeitslosenquote und die hat man sich gerade erst so mühsam klein geschummelt.
Für alle die gerade nicht mitten im Projekt stehen: Kurzarbeitergeld ist eine Erfindung der Regierung, die Unternehmen dazu animiert, Arbeitsplätze zu erhalten die in Folge von Konjunkturverlusten eigentlich unnütz geworden sind, indem man beide für die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses finanziell entlohnt. Der Arbeitnehmer erhält Geld für Weiterführung seines Beschäftigungsverhältnisses, obwohl er nix tut. In den meisten Unternehmen führt dies dazu, dass man mit leicht verringerter Stundenzahl weiter werkelt, der Unternehmer aber nur den halben Lohn zahlen muss.

Konzept-Abgleich
Was sagt eigentlich die energy (r)evolution dazu? Die global denkenden Wirtschaftsexperten von EREC und Greenpeace sehen in der stagnierenden Entwicklung eine große Chance zum Umbruch, implementieren aber den Anstoß zum technischen Fortschritt und der taucht im SPD-Paket nicht auf. Vielmehr schafft man Vorteile für den Neuwagenkauf, ungeachtet der Auswirkungen auf Innovation und Umwelt. Wo sind all die Neuerungen geblieben die uns dereinst versprochen wurden? Mit massiver Forcierung innovativer Technologien würde man ein kurzfristiges Arbeitsmarktdefizit erreichen, gefolgt von einer technischen Revolution die Deutschland wieder an die Spitze des internationalen Warenhandels bringen würde. Dummerweise steht "langfristig" weiterhin nicht im Dienstplan der Koalition. Frau Künast äußerte sich schon im Februar 2007 negativ zur Umsetzung des Hybrid-Antriebs, der ja in Deutschland entwickelt wurde: "Warum wird das Ganze nicht bei uns eingebaut? Wo sind die entsprechenden Autos?" Eine Frage die man unter Betrachtung aktualistischer Gesetzesentwürfe relativ leicht beantworten kann.

Wir sehen: es besteht kein Grund zur Sorge, zumindest wenn man zu den Oberen Fünftausend gehört. Dann wird man für seinen ohnehin jährlich erworbenen Neuwagen zusätzlich belohnt, auch wenn man somit den Zukunftsaussichten des gemeinen Volkes entgegenwirkt. Die Merkel-Koalition hat alles im Griff! Mit gespielter Souveränität erhält man Arbeitsplätze bei dahinscheidenden Branchenvertretern und poliert so den eigenen Status auf. Einfach graziös!

PS.: Hat in letzter Zeit mal jemand den Ölpreis beobachtet? Der hat sich seit seinem Juli-Höchststand halbiert. Selbige Entwicklung schlägt sich jedoch nicht im Benzinpreis nieder. Komisch! Ob das ein weiterer Hinweis darauf sein könnte, dass die großen Konzerne uns auch dann die Ohren voll jammern, wenn sie finanziell auf sicheren Beinen stehen und sich die zuständige Regierung von ihr völlig an der Nase herumführen lässt?
 
Verarschung von allen Seiten. Wie lange macht der kleine Mann, bzw. die kleine Frau das noch mit ?
KP, aber solange keiner auf die Straße geht, bleibt alles beim Alten...
Wieder ein sehr guter blog. mach weiter so.
Frage mich eigentlich ständig, warum Deine blogs kaum kommentiert werden.
Schlechte Bewertungen abgeben ist dawohl einfacher...
Naja...machst Du das eigentlich auch beruflich ?
 
Ich bin schon froh, dass jemand liest. Und wenn bewertet wird ist das auch meist ein Zeichen für Aufmerksamkeit. Ich hoffe, irgendwann genügend leute wach zu rütteln, um einen Umbruch im Parlament anzuzetteln. Es gibt nicht viele Politiker denen wir am Herzen liegen, aber eben jene werden kaum gewählt. Wir müssen daher das Volk auswechseln bevor die nächsten Wahlen anstehen. Is nimma viel Zeit!

PS.: Schreiben ist Hobby, echtes Geld bekommt man nur als Bestseller-Autor oder fest angestellter Journalist. Am Jahresende mache ich vielleicht wieder ein Buch draus, bis dahin schreibe ich Bewerbungen und malträtiere amerikanische Hochschulen mit meinem Wunsch um Aufnahme ins PhD-Programm.
 
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