Schritt nach vorn

Goemon

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Reinhard atmete tief durch. Mit jeder Faser seines Körpers spürte er die Last der kommenden Ereignisse. Alles war vorherbestimmt. Selbst wenn er sich umdrehen und davon laufen würde, am Ende würden sie ihn kriegen. Nein, seine Zeit war vorbei. Die Entscheidung war allen Beteiligten seit langem klar, so auch ihm. Dies würde sein letzter Gang als Clanchef werden. Doch er würde ihn mit jener Würde begehen, die er seit Amtsantritt gezeigt hatte. Er würde da rausgehen und der brodelnden Menge noch einmal zeigen, dass sein Clan einig ist uns stark und sich von niemandem die Zukunft diktieren lässt. Er würde ihn allein gehen, diesen letzten Weg, die schwere Bürde der Führerschaft auf dem Rücken, den ewigen Abschied von der Bühne stets im Nacken. Schon konnte er sie hören, wie sie draußen schwatzten und diskutierten, ihre Blumensäbel gegeneinander rieben, dass es weit aufs Feld hinaustrug.

Als Reinhard Bütikofer das Erfurter Podium betrat, brauste die Menge noch einmal auf, ihrem dahinscheidenden Clanchef einen letzten tosenden Empfang zu bereiten. Dann verebbten die Publikumsgeräusche und der Parteivorsitzende der Grünen hob zu seiner Rede an, die dem Bündnis und gleichwohl der gesamten Welt den Weg in eine bessere Zukunft weisen sollte. Von Freundschaft, Zusammenhalt und Gleichberechtigung war die Rede. Von Erfolg und Misserfolg war in den anschließenden Kundgebungen seiner Kollegen die Rede. Doch eines war ihnen allen gemein, das Wissen um eine Notwendigkeit der Neuorientierung von Volk und Vaterland.

Regentschaftswechsel
Ohne große Diskussion wurde anschließend die neue Führungsspitze gewählt. "Dass es Menschen gibt in diesem Land, die für drei Euro pro Stunde Brutto arbeiten müssen, zeigt, dass ich mich bei einer Partei bewerbe, für die es noch viel zu tun gibt", vermeldete die neue und alte Bundesvorsitzende Claudia Roth. Viele halten sie in Ehrenhafter Erinnerung, wie sie noch vor einer Woche auf der Straße nach Gorleben saß, um inmitten ihres Clans auf die Missstände rund um die Kernenergie aufmerksam zu machen. Auch gestern präsentierte sich den Zuhörern eine Frau, die sich durch niemanden einschüchtern oder eine andere Meinung einreden lassen würde. Eine fröhliche Frau, die mit lachendem Gesicht selbst in saure Äpfel beißt, wenn sie denn nur gesund sind.

Der neue Parteivorsitzende Cem Özdemir ging ebenfalls mit großen Schritten auf seine Freunde zu. "Ich trete für eine Gesellschaft ein, in der alle mitgenommen werden. Egal, ob sie aus Anatolien oder Kasachstan kommen, oder ob ihre Vorfahren schon gegen die Römer im Teutoburger Wald gekämpft haben", erklärte der anatolische Schwabe. Unter seiner Führung wird niemand auf dem Schlachtfeld zurück gelassen, denn Zukunft ist für alle da. Dass Özdemir für eine multikulturelle Gesellschaft einsteht wird selbst von der FDP nicht in Frage gestellt.

Ein Plan der auf dem Verstand fußt
Bereits am Vortag hatte man sich auf das Paket von Zielen einigen können, die man während des Wahlkampfes zum kommenden Bundestag 2009 vertreten wird. "Wir alle wissen, unser Ziel heißt 100% Erneuerbare Energien", proklamierte die Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast. Und so nahm man sich die technischen Berichte vor, verglich sie mit den Partei-Zielen und entschied kurzerhand über das komplette Maßnahmenpaket, mit dem man sich der Wahl stellen würde. Nicht nur, dass hiermit die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung weit über jener ihrer Kontrahenten liegen. Die Vorstellungen sind gleichsam dermaßen vorausschauend geplant und bereits an zukünftigen Errungenschaften orientiert, dass phantasielose Kandidaten wie Frank-Walter Steinmeier oder Kanzlerin Merkel sie glatt für realitätsfern und völlig überzogen halten. Gut, von Mitmenschen die aufgrund eigener Unfähigkeit und Innovationsarmut die Entscheidungen über Kernenergie gern jahrelang vor sich herschieben, war nichts anderes zu erwarten.

Ziel der Grünen sind nun die Umstellung deutscher Energieerzeugung auf komplett regenerative Quellen bis 2030, die vollständige Deckung des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen bis 2040. Die Sozialpolitik soll überdies nicht vom Tisch purzeln, weshalb Konzepte für die gerechte Umverteilung der Steuereinnahmen gleich mit eingeplant wurden. Umsetzung und Konkretisierung hängen freilich von möglichen Koalitionspartnern ab, wodurch die Details vorerst nicht geklärt werden können. Aber, wie ich immer sage, lieber eine gute Vision als ein schlechtes Konzept. Allein die Tatsache, dass dieses Thesenpapier zwei Jahrzehnte weiter in die Zukunft plant als jede andere Partei, sollte jedem Skeptiker die Läuterung bringen. Dass Bankmanager und Großindustrielle zu Geldgebern degradiert werden, gibt dem Volke den Rest.

Abschied und Auftakt
Claudia und Cem atmen noch einmal tief durch. Mit jedem Muskel, jeder Sehne ihrer Körper spüren sie die Spannung dieser Welt auf sich lasten. Ihre Zeit ist gekommen, das ist beiden in aller Konsequenz bewusst. Unter ihrer Führung wird der Clan der Grünen sich auf die beschwerliche Reise in eine bessere Zukunft begeben. Den frostigen Atem der energy (r)evolution im Nacken, schreiten sie sicher voran, um den Ruf der Freiheit weit über die kargen Felder zu tragen. Und sie wissen eines genau: sie sind nicht allein, sondern kämpfen gemeinsam mit einer Schar von Anhängern für die Rechte der Erde auf Fortbestand.
"Yes we can."
 
Da dieser unscheinbare und verachtenswert politische Blog den Schlüssel zu unser aller Zukunft enthält, reicht es mir ausnahmsweise nicht aus, wenn ihr kurz drüber stolpert, eine Bewertung abdrückt und wieder verschwindet. Was auch immer bis September 2009 noch gesagt wird, Vorgestern abend hat sich für den verantwortungsbewussten Wähler die politische Situation der kommenden Legislathurperiode verfestigt.

Deutlicher kann man der großen Koalition den Handschuh nicht ins Gesicht werfen.
 
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