Segel reffen, Motor anwerfen, Piraten Ahoi !

Goemon

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Es ist finstere Nacht und der überwiegende Teil der Besatzung des Öltankers liegt in den Kojen. Nur einzelne Matrosen wachen über Kurs und Sicherung des stählernen Kolosses. Weit hinter dem Heck schält sich langsam ein blaues Objekt aus der nächtlichen Nebelbank, das im Takt der Wellen auf und ab wippt. Leise und unscheinbar rückt es näher. Das stromlinienförmige Schnellboot, welches dem Tanker folgt, ist knapp acht Meter lang und gleitet scheinbar lautlos über das Wasser. Der Motor erzeugt ein gleichmäßiges stumpfes Brummen, das von dem pfeifenden Wind an Deck jedoch glatt übertönt wird. Wenn eine größere Welle das schnelle Gefährt empor hebt, klatscht jenes anschließend flach auf die Wasseroberfläche. Die fünf jungen afrikanischen Männer stehen dennoch regungslos am Bug ihres Kaperschiffs. Mit steinerner Mine taxieren sie den immer näher kommenden monströsen Schatten, in dessen Kielwasser sie seit einer halben Stunde fahren.

Gute Aussicht
Dies soll ihr bislang größter Beutezug werden. Am Tanker angekommen, springt einer nach dem anderen hinüber, krallt sich an irgendwelchen Vorsprüngen oder Tauen fest und beginnt den mühsamen, gefährlichen Aufstieg. Jahrelang haben sie sich auf diesen Moment vorbereitet, haben alte rostige Fischtrawler erklommen, die in ihrer Heimatbucht vergammeln. Sie sind auf Palmen geklettert, auf Ladekräne und auf alte Fabrikhallen. Kleine Frachter haben sie überfallen, die Ladung verpfändet oder manchmal auch Lösegeld erpresst. Zumeist mit Macheten bewaffnet erklommen sie Schiffsflanken und nahmen die Besatzung gefangen. Viele von ihnen wurden bereits von Fahrtwellen ertränkt, zwischen Schiffsrümpfen zermalmt oder von der Polizei aufgegriffen. Wer sich der Piraterie schuldig macht, muss in vielen Ländern mit körperlichen Strafen inklusive Fleischverlust zwischen Hand und Kopf rechnen, lebt also nach einem Schuldspruch nur noch ein unvollständiges Leben. In Somalia, dem Heimatland der erfolgreichsten Piraten der Neuzeit, hat der Staat freilich wenig Macht über das Tun seiner Bevölkerung. Ein Land das fast nur aus pseudo-souveränen Provinzen besteht kann über seine nicht vorhandenen Ordnungshüter kaum Druck auf Gesetzesbrecher ausüben, schon weil es keine anerkannte Gesetzesgrundlage gibt. So konnten Freibeutersiedlungen florieren und zu beachtlichen Städten auswachsen.

Kinder der See
Somalische Seeräuber sind bei jedem Händler gern gesehen, denn sie sind stets flüssig. Gerade in Gebieten wo sie die einzigen zahlungsfähigen Kunden sind, macht man sich über die Herkunft des Geldes keine Gedanken. Für die Geiseln wurden sehr gut ausgestattete Quartiere eingerichtet, oft sogar mit Essen nach Wunsch der "Gäste". Schließlich gehört Gastfreundschaft noch immer zum guten Ton in Afrika. Darüber hinaus gilt es hier keinen Kampf "Menschenhändler gegen Sklave" zu bestreiten. Es geht nur ums Geschäft. Handelsschiffe sind dazu da, gekapert zu werden und viele Frachten zwischen Europa uns Asien werden durch den Golf von Aden gefahren. Irgendwelche Vorteile muss Jahrhunderte alte Landkartenkenntnis schließlich mit sich bringen. Dummerweise hat sich die Anzahl erfolgreicher Piraten in dieser Meerenge in den letzten drei Jahren verzehnfacht, was hauptsächlich auf zwei Finanzierungsmodelle zurückzuführen ist.

Die etwas intelligenteren Freibeuter der alten Schule haben große Teile ihrer Einkünfte reinvestiert, sich mit automatischen Gewehren, großen Schnellbooten und Navigationsgeräten ausgerüstet. Derart modernisiert können sie nun auf große Kaperfahrt gehen und Beuteschiffe schlagen die vor wenigen Jahren noch unerreichbar waren.

Andere Piraten haben ihre Freiheit partiell aufgegeben und sich mit findigen westlichen Unternehmern zusammengeschlossen. Schließlich sind die Entschädigungen, die Versicherungsgesellschaften an überfallene Reeder zahlen, weit größer als das originale Lösegeld mitsamt den Ausfallkosten. Was beim "verlorenen" Neuwagen funktioniert, klappt in aller Regel auch bei Hochseetauglichen Stahlkolossen, sodass Versicherungsbetrügern gern mal geeignete Somalis für organisierte Entführungen anheuern. Im Notfall sorgt ein unachtsam über die Bordwand hängendes Tau für einen sicheren Zugang zum Oberdeck.

Gefahr im Verzug
Doch ist das Leben eines Piraten auch im Golf von Aden inzwischen gefährlich geworden. Jede Nation mit wirtschaftlichen Interessen in diesen Gewässern entsendet mittlerweile eigene Kriegsschiffe, um die fahrenden Händler zu schützen. Erst Dienstagnacht hat die indische Fregatte "INS Tabar" ein großes Boot somalischer Piraten versenkt. Nach der Aufforderung zum umgehenden Maschinenstopp eröffnete das Mutterschiff krimineller Machenschaften das Feuer, was die Inder in tradierter Manier beantworteten. Da die Bewaffnung letzterer allerdings für den Kampf gegen andere Schiffe ausgerüstet ist und nicht für die Versorgung kleiner Piratenkähne, zog die afrikanische Schaluppe den Kürzeren. Solche Mutterschiffe dienen nur einem Zweck: sie ziehen Schnellboote aufs Meer hinaus, wodurch selbige einen sehr viel größeren Aktionsradius erhalten und nunmehr Schiffe entern können, die vor wenigen Monaten noch unerreichbar waren.

Wie unsicher diese Methode nun wird, zeigt nicht nur die INS Tabar, sondern auch die große Zahl weiterer Fregatten die aus aller Welt nach Somalia unterwegs sind, um im Golf umherzukreuzen. Letzteres beunruhigt nun wiederum die Anrainerstaaten. Insbesondere Jemen sieht seine militärische Souveränität bedroht und wirft warnend die Faust in die Luft. Andererseits, was will das Nomadenvolk schon tun? Seine Pferde zu Wasser lassen?! Die Kapitäne der nun eintreffenden Kriegschiffe fürchten weder Schnellboote noch Hochseepferdchen und werden ihren Ordnungsauftrag ungehindert wahrnehmen.

Beute Ahoi
Doch zurück zu unseren eingangs erwähnten Piraten-Veteranen. Sie haben ihre Mission erfüllt, den saudiarabischen Öltanker "Sirius Star" gekapert und in die Heimat verschleppt. Allein das geladene Rohöl für etwa 100 Millionen Dollar sollte für eine fristgerechte Übergabe der geforderten 25 Millionen sorgen. Fracht und Passagiere lassen ferner keine gewaltsamen Befreiungsversuche zu. Die kleine Freibeutercrew kann sich demnach auf ein hübsches Sümmchen freuen, welches die erforderlichen Mühen mehr als ausgleicht. Die unromantischen Vorstellungen von holzbeinigen Piraten mit Glasauge und Krummsäbel, die in morschen, verrauchten Hafenkneipen ihre Wocheneinkünfte in Rum und unansehnliche Frauen umsetzen, die nur gegen ordentliche Bezahlung über Gestank, Schmutz und Narben ihrer Freier hinwegsehen; diese alten Bilder sind verschwunden. Sie weichen einem Mosaik aus moderner Technik, maßgeschneiderten Anzügen, aktuellsten Handys, gepflegten Hauseigentümern und zahlungskräftigen Kalaschnikov-Veteranen.
 
ich fan's sehr gut geschrieben und hoch informativ - Da macht's spaß zu lernen^^ 5 eit entfernte sonnen...
 
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