Spiele aus dem Laden

Linda-mys

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Mein einssechzig hohes Ich hockt mit krummen Rücken vor dem PC. "ich könnte mir ja mal wieder ein Spiel gönnen. Ja das tue ich, heute kaufe ich mir ein Spiel". Der Weg zum nächsten Elektronikgeschäft ist weit und auf das Wetter kann man sich sowieso nicht verlassen. Aber ist ja auch egal, denn zum Glück gibt es in den weiten Welten des Internets Abhilfe für faule Couchkartoffeln. Online-Handel heißt die Zauberformel. Praktisch, bequem, und komfortabel. Alles was ich bewegen muss sind meine Finger. Der größte Aufwand ist es, die Preise und Angebote der verschiedenen Händler zu vergleichen. Mit vier Klicks ist das Spiel ? an diesem Tage Dragon's Dogma: Dark Arisen - bestellt und bereit, von fleißigen Händen in Pappe gehüllt zu werden. Das erwartete Paket kommt sicherlich schon Morgen an. Das beste ist: Ich habe nicht einmal das Gefühl für meine Belohnung irgendeinen Finger krumm gemacht zu haben (nun, wörtlich genommen habe ich es ja doch). Das Geld, was ich ausgebe muss ich nicht sehen und deshalb tut es mir auch nicht Leid, wenn ich es weggeben muss. Die Menschen, die das Spiel verkaufen und verpacken sind irgendwo anders ? Sie existieren für mich in einer Parallelwelt, weit weit entfernt. Diese Menschen könnten auch Cyborgs oder andere Maschinen sein. Niemand steht sich Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ich muss mich um nichts und niemanden kümmern. Alles ist vollkommen anonym und ohne Image.

Mein einsdreißg hohes Ich hockte zappelig vor dem Pult im Klassenzimmer. "heute ist DER Tag, endlich habe ich genug Geld zusammen gespart, heute kaufe ich mir ein Spiel !". Als die melodische Schulklingel zum letzten mal am Tag ertönte, warf ich meinen Ranzen über die Schulter, nahm die kurzen Beine in die Hand und rannte auf schnellsten Wege zum größten Einkaufszentrum der Stadt. Mit jedem Meter, den ich zurücklegte, stieg die Aufregung. Schließlich stand ich vor meinem Stamm-Spielzeugladen, aus dem ich einst Spiderman, Batman und diverse Schlümpfe mit nach Hause nahm. Die automatischen Türen des Geschäfts hätten an diesem Tage nicht langsamer aufgehen können. Der Bauch kribbelte, das Herz flatterte fröhlich. Erwartungsvoll stand ich nun vor dem spärlich bestückten Spieleregal. Auf der linken Seite waren die teuren PS-One Spiele zu finden, bei deren Anblick ich mich immer fragte, ob ich denn jemals in den Genuss dieser mysteriösen grauen Konsole kommen würde... Mein Augenmerk richtete sich also auf die rechte Seite, wo die GameBoy -und GB-Color-Spiele aufgereiht waren. "Pokemon Rot/ Blau? habe ich schon. Zelda kenne ich auch und dieses Turok kaufe ich mir bestimmt nicht noch einmal! Aber dieser Typ mit dem Schnurrbart: M-A-R-I-O. Ach der ist das, von dem sprechen immer alle. Auf der Verpackung ist ein Hai mit Boxhandschuhen abgebildet? Jetzt bin ich vollkommen überzeugt."

Super Mario Land 2 sollte es also sein. Ich schnappte die Plastikhülle, in der das Game eingeschlossen war und begab mich stolz zur Kassiererin. ,,Eh die das Ding auffummelt! Warum dauert heute alles so lange?"

Der Gang nach Hause nach dem Kauf eines neuen Videospiels war eine heroische Heimreise. Der Gang nach Hause war ein Triumpfzug, bei dem ich meinen schwer erbeuteten Schatz am liebsten gen Himmel gestreckt hätte, um mit der ganzen Welt (oder zumindest mit ganz Schönebeck) mein Glück teilen zu können... In meinem Kopf malte ich mir aus, wie das Spiel wohl sein würde: "Welche Abenteuer werde ich erleben? Hoffentlich ist es nicht auf englisch und hoffentlich ist es nicht so schwer..." Ich konnte kaum es abwarten, meinen Freunden von meiner neuen Errungenschaft zu berichten. "Wie werden sie es wohl finden? Und was werden meine Eltern wieder sagen?". Meter um Meter. Minute um Minute. Ungeduldig tappelte ich über die Straßen - stets darauf bedacht, die bunte Plastiktüte mit dem wertvollen Inhalt fest unter den Arm zu halten...

Es gab doch damals nichts schöneres, als das mühsam angehäufte Taschengeld im Spielzeug -oder Elektronikladen um die Ecke zu verprassen, oder? Man machte sich keine Vorwürfe und scherte sich nicht um das verlorene Geld - naja, ein wenig doch, aber man hatte es gegen etwas Gutes eingetauscht. Und das bei vollem Bewusstsein, bei vollkommener Anwesenheit und mit all seiner Aufmerksamkeit.
Wenn ich mir heute ein Spiel direkt aus dem Laden kaufe (was leider viel zu selten vorkommt), merke ich, dass sich im Vergleich zu früher eigentlich nichts geändert hat. Diese infantile, unbeschwerte Freude, die Aufregung und die Ungeduld -das alles ist immer noch da. Das Spiel fühlt sich einfach wirklicher, realer an. Zuhause angekommen, macht das Auspacken umso mehr Spaß: Das Abreißen der Folie? Ein Genuss. Der Geruch der Verpackung? Eine Essenz, momentan genüsslicher als jeder Frühlingsduft. Und das alles habe ich selber aus eigener Arbeit beschafft. Ich sollte mir jedes mal diesen Ansporn nehmen, wenn ich ein neues Game mein Eigen nennen möchte. Ich sollte dem Geschäft, welches ich mit meinen Füßen betrete und welches ich mit vollen Händen wieder verlasse, eine Chance geben und meiner Faulheit den Rücken kehren.
 
Wie immer großartig geschrieben und mit diesem Thema kann ich mich auch noch sehr gut identifizieren... So ähnlich ergeht es mir auch heute noch, wenn ich mal wieder ein Spiel im Laden erwerbe. Wobei inzwischen alte SNES-Spiele in Originalverpackung auch eine ähnliche Begeisterung bei mir auslösen... Die bekomme ich dann aber eher über eBay statt im Laden, versteht sich :)
 
Kann leider nur einmal "Gefällt mir" drücken. Würde es gern öfter tun. Toller Blog!!! Triumph heißt es, aber das nur, weil Du ansonsten so perfekt schreibst. Richtig gut!

Inhaltlich habe ich in den vergangenen Jahren jegliche Romantik verloren. Games lade ich runter. Die Folien, Verpackungen und lachhaften Handbücher verspotte ich. Schlimm. Hätte ich früher gedacht. Aber es dreht sich, das Rad der Zeit.:)
 
Wie wahr, wie wahr :D.

Ab und zu verschlägt es mich auch noch in einen der einschlägig bekannten Elektronikmärkte, aber meistens ist online kaufen (oder gleich runterladen) doch einfacher. Vor allem wenn man faul ist!

Was waren die 90er noch für Zeiten: mit dem Bus in die Stadt, dem Lieblings-Spielzeugladen einen Besuch abstatten. PC-Spiele befanden sich noch in 30cm hohen Verpackungen und waren prall mit Gimmicks gefüllt. Heute nennt man das Collectors Edition und kostet fast das Doppelte, früher war das Standard.
Das Spielzeuggeschäft existiert heute noch. Allerdings werden keine Spiele mehr verkauft. Einzig für Revell-Modell suche ich es noch auf...

Aber die Erinnerungen bleiben ^^
 
.....echt toller Blog . Wie gut ich das Gefühl kenne was du beschreibst . Aus diesem Grund kaufe ich die meisten meiner Games immer noch im Elektrofachgeschäft ^^. Mach weiter so
 
... gefällt mir. Mir gings früher ähnlich, obwohl ich schon damals Spiele im Versandhandel bestellt habe, allerdings telefonisch. Konnte es jedenfalls nie erwarten und hab immer wieder angerufen und gefragt, wieso mein Spiel nicht schon längst da ist ...

Leider hat diese Faszination abgenommen - liegt wohl am Job.
 
Ging mir ganz genau so. Ich hab' früher sogar direkt bei den deutschen Publishern angerufen, wenn ich den Erscheinungstermin eines Spiels wissen wollte... :))
 
Heute bestelle ich über Internet meine Spiele, was den Vorteil hat, dass ich jedes Spiel bekomme, wonach ich suche, die ich damals nicht in jedem Geschäft bekam und erst bestellen musste.

Wenn ich ein Spiel bestellt habe und es bestenfalls einen Tag später geliefert wird, bin ich voller Vorfreude und laufe dem Postboten entgegen, obwohl er noch weit von unserm Haus entfernt ist, damit ich das Spiel eher in den Händen halten darf. Diese Vorfreude kann nur ein richtiger Gamer verstehen .... :D

Du hast schriftstellerisches Talent und geizt auch nicht damit in deinen ausgezeichneten Blogs, dieses Talent zu offenbaren. In deinen Blogs zeigst du nicht nur, dass du ein Gamer(in) bist, sondern dahinter auch ein nachdenklicher Mensch steckt.
 
Ja dieses kribbeln ist doch fein und bei manchen Games kribbelt es schon Monate vorher,was leider nur noch selten vorkommt.In der Großstadt kommt man schon mal ausversehen an Shops vorbei und hüpft mal eben rein um nach nice price Games ausschau zu halten.Flohmärkte sind auch eine feine sache wenn man was ergattern kann was nicht eingeplant war.Man freut sich zumindestens wie ein Schneekönig und zu Hause dann " nur mal eben reinschauen".Es lebe der gebrauchtmarkt und der muß bestehen bleiben.Sonst wird man das stöbern sehr vermissen.
@ Linda : schön geschrieben.
 
Hallo, wieder einmal darf ich einen deiner Blogs lesen (eben erst gefunden) und bin begeistert! Faszinierend schön geschrieben zu einem Thema, das wie vielen Anderen auch mir wohlbekannt ist.

Früher war die Faszination, die von diesem Ritual des Datenträger-Kaufs ausging einfach unfassbar und nicht zu zähmen! Wir beide unterscheiden uns lediglich im Bezwingen des Nachhause-Wegs. Bei mir war keine Spur einer heroischen Heimreise, ich konnte garnicht schnell genug in die Pedale meines Fahrrads treten, es dauerte immer viel zu lange :D .

Heute werden PC-Games gedownloadet und Konsolenspiele auch nur noch in örtlichen Geschäften gekauft, wenn ich gerade ungedingt zocken will, dann habe ich keine Geduld für die 1-3 Werktage Lieferzeit ;) .

Super Blog, mit viel Freude gelesen, dankeschön!

LG
Kevin
 
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