Thailands Touristenplage

Goemon

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Wenn hierzulande die Wähler mit der von ihnen ernannten Regierung unzufrieden sind, suchen sie sich eine Fernsehkamera, schreien laut ins Mikrofon und wandern mit Pappschildern die Straße entlang. Oft steht dann die Polizei am Straßenrand und beobachtet das bunte Treiben, während die Politiker weiter ihrer "Arbeit" nachgehen. Das ganze nennt sich dann Großkundgebung und soll das Proletariat auf die inhäusigen Missstände aufmerksam machen. Da durch die europäische Demonstrationsnorm im Vorfeld bereits jede Unwägbarkeit geregelt wird, gibt es selten gewalttätige Ausschreitungen und noch seltener überraschend nachgebende Politiker. Wenn nun das Thailändische Volk zu der Ansicht gelang, dass es von der Regierung hintergangen wird, setzt es ähnliche Maßnahmen ein, allerdings mit einer grundlegend unterschiedlichen Dimensionierung.

Umsturz
Nach parlamentarischen Neuwahlen im April 2006, die auf Anordnung des korrupten Premierministers Thaksin Shinawatra annulliert wurden, beendete das Militär die Thaksin-Dynastie mit einem gewaltigen Putsch. Der Premier war zu dem Zeitpunkt glücklicherweise nicht daheim und hatte genug Milliarden ergaunert um problemlos im britischen Exil bleiben zu können. Damit hätte die Geschichte Thailands eigentlich wieder den Pfad asiatischer Normalität einschlagen sollen, doch die vormals in weiser Voraussicht aufgelöste Regierungspartei TRT formierte sich schnell zur PPP zusammen und gewann die Neuwahlen in der Version 2.0, regiert also seither unter der Leitung von Samak Sundaravej über das touristische Reich. So nun versickerten öffentliche Gelder weiterhin in den Taschen der Privilegierten, so wie es seit dem Rücktritt des Königs eigentlich nicht mehr hätte sein sollen.

Aufruhr
Das Volk war daher ganz schön ungehalten und begann im August dieses Jahres mit der Besetzung des Parlamentsgebäudes, welches nach einigen Wochen für Beamte völlig unerreichbar wurde. Sitzungen müssen seitdem in anderen Einrichtungen abgehalten werden und auch dies gelingt nur, wenn das Volk erst in letzter Minute davon erfährt. Im September reagierte das Verfassungsgericht und setzte Samak ab. Als Begründung zog man kurzerhand seine Nebentätigkeit als Fernsehkoch heran, die irgendwie gegen irgendwelche Gesetzte verstieß. Nachfolger wurde Somchai Wongsawat, seines Zeichens Schwager von Thaksin und somit sein politische Bruder im Geiste. Nach alter asiatischer Tradition ist das Volk dennoch nicht zufrieden mit diesem Austausch, sondern bestreikt weiterhin seine Abgeordneten. Der Druck ist offensichtlich ausreichend um über einige Orte den Ausnahmezustand zu verhängen, denn in der ersten Oktoberwoche flog so viel Tränengas durch die Straßen Bangkoks, dass zahlreiche Menschen stationär behandelt werden mussten. Vizepräsident Chavalit Yongchaiyudh erklärte daher seinen Rücktritt, da ihm als erstem hochrangigem Beamten seit langem tatsächlich an der Gesundheit seiner Untergebenen gelegen gewesen wäre.

Konfrontation
Weil sich das Parlament offensichtlich nicht vom Regieren abhalten lässt, haben die Unbestechlichen letzte Woche den größten und wichtigsten Flughafen des Landes in Bangkok besetzt. Eigentlich wollten sie damit die Rückkehr des Premierministers Somchai von seiner Auslandsreise verhindern, was jedoch durch gewiefte Polizeiaktionen vereitelt wurde. Weil Busfahrkarten jedoch teuer sind und die gelb gekleideten Regierungsgegner sich mit reichlich Wasser und Nahrung eingedeckt hatten, blieben sie einfach vor Ort und brachten den Flugverkehr Bangkoks gänzlich zum Erliegen. Nach einigen Tagen gesellten sich Regierungsfreunde hinzu, die in Kooperation mit Ordnungskräften durch Blockade der Zufahrtsstraßen die Anreise weiterer Demonstranten verhindern wollten, wobei es zunehmend auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Die gelben Oppositions-Fans stritten sich lauthals mit den roten Regierungs-Sympathisanten um die Vorherrschaft in den Fliegergassen, wobei erstere schon aufgrund ihrer Anzahl permanent überlegen waren. Übrigens ist gelb die Farbe des Königs, wobei rot die PPP repräsentiert.

Die gesellschaftlichen Lager
Ironischerweise ist es nicht etwa der missverstandene ländliche Unterbau der Bevölkerung, der sich gegen das Parlament erhebt, sondern die gehobene Mittelschicht. Denn obwohl Thaksin im Grunde ein gewöhnlicher korrupter Machthaber war, setzte er sich für die Bauern des Landes ein und ermöglichte ihnen durch geschickte Umleitung von Bestechungsgeldern beispielsweise den Erwerb neuer Landmaschinen oder medizinische Versorgung. Das macht ihn und seine politischen Nachfolger zu ethisch derangierten, sozial jedoch sehr angesehenen Betrügern. Somit entfällt hier der klassische Machtkampf von Gut gegen Böse. Eher geht es hier "böse" gegen "nicht ganz so böse". Gelb gegen rot, und keiner weiß genau, welche Farbe die bessere ist, denn beide fußen auf Ausbeutung der Wähler. Das macht es für Außenstehende unheimlich schwierig eine Seite auszuwählen, um sie von daheim aus anzufeuern, schließlich ist keine Entscheidungsmöglichkeit die moralisch richtige.

Tod und Verderben
Diese Verwirrung schien selbst am Chaos gewachsene Thailänder zu verwirren, denn bei den Dauerdemonstrationen wurden mehrmals Handgranaten eingesetzt, was zu einer Vielzahl von Verletzten und mindestens zwei Toten führte. Immer wieder eskalierte die Gewalt, teilweise wurde gar von einem drohenden Bürgerkrieg getuschelt. Immerhin wurde Thailand mit dem nunmehr funktionslosen Großflughafen seiner Haupteinnahmequelle beraubt. Über eine Viertel Million Touristen durchleben derzeit einen stark verlängerten Urlaub, weil Bangkok die einzige Möglichkeit darstellte, größere ausländische Personengruppen zu verwalten. Die Branche schwankt und droht zu kippen, wenn nicht in den kommenden Tagen eine Art Normalisierung wiederkehren sollte.

Der Wandel
Das Verfassungsgericht hat nun reagiert und in Folge einer Sondersitzung die regierende PPP aufgelöst. Als Begründung nannte man Wahlbetrug und verhängte fünfjährige Ämtersperren über Somchai und seine engsten Minister. Blöd: so hurtig wie Somchais Mitverdiener nun auseinander stieben, so hurtig werden sie sich wohl in einer Ersatzpartei neu formieren, denn schließlich besitzen sie zusammen mit ihren Koalitionspartnern noch immer die Mehrheit im Parlament, wo sie innerhalb der kommenden zwei Wochen einen neuen Anführer ernennen werden. Die oppositionellen Mächte haben gezeigt, wie ernst ihnen die Landespolitik ist und sie haben bereits gedroht ihre Posten umgehend wieder zu beziehen, wenn die Koalition nicht schleunigst wieder in andere Taschen arbeiten sollte. Die internationalen Personentransporte rollen langsam wieder an, doch die Angst vor weiteren Eskalationen bleibt. Die Zeit allein wird zeigen, ob sich das Land jemals von seiner verstaatlichten Vetternwirtschaft befreien kann.
 
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