X3 ? drei Kreuze für Tolstoi

Goemon

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Aufgrund meines langjährigen Interesses an komplexen Spielen mit Tiefgang und Actionkomponente und beflügelt durch den erstaunlich niedrigen Preis von 10 Euro für die Collector?s Box inklusive Monatskalender, Soundtrack-CD, über fünfzehnstündigem Hörbuch und echtem, gedruckten Handbuch, beschloss ich den Kauf von X3-Reunion. Mir war durchaus bewusst, dass die X-Spielreihe nicht gerade vor Benutzerfreundlichkeit strotzt, aber für zehn Euro gebe ich dem Genre gern eine Chance.

Interstellares Telefonbuch inklusive
Erster Schock war das mit gut einhundert Seiten recht üppig ausgestattete Handbuch, deutete es doch im Ansatz bereits auf die Pein meiner Weltraumerlebnisse. Ich dachte erst, man müsse vielleicht alle paar Minuten selbstständig die Telefonnummern wichtiger Auftraggeber nachschlagen oder erhielte im Anhang leckere Rezepte für Marsmännchen-Gulasch mit Katzenhaarsauce, doch weit gefehlt, über achtzig Seiten sind tatsächlich Spiel-relevante Informationen. Da ich mich selbst jedoch zu den intelligenteren Zockern zähle, mit beinahe übernatürlicher Auffassungsgabe, elitärem technischen Sachverstand und der Gabe der perfekten Selbsteinschätzung, legte ich den Betriebsroman zurück in die Schachtel, um mich voll auf das Geschehen am Monitor konzentrieren zu können. Also installierte ich, saugte das 180 MB große Update, warf das Bonus-Package von der Egosoft-Homepage hinterher und freute mich auf ein intensives Weltraumabenteurer-Leben.

? und Start!
Bei Spielstart habe ich sogleich die freie Auswahl zwischen sechs Charakteren, die alle gleichermaßen dümmlich dreinblicken, sich aber durch unterschiedliche Texte auszeichnen. Aus meinen ersten Blicken ins Pilotentelefonbuch hatte ich Gerüchte in Erinnerung, nachdem der einzige Unterschied der drei Hauptcharaktere wohl das Startkapital ist und so startete ich die schwerste der drei Möglichkeiten. Ich lande im Weltall. Also nicht völlig nackt, sondern in eine schnuckelige kleine Argonen-Schaluppe gezwängt. Sofort erreichen mich Grüße von irgendeinem Bekannten, der mich mitsamt Bild und Stimme anfunkt. Wer mich da so blöd von der Seite anquatscht weiß ich nicht, aber sein blauer Raumanzug im StarTrek-Design gibt mir zu verstehen, dass er eine ganz hohe Position in diesem Universum bekleidet, der ich besser nicht widerspreche. Mein Char kann sich wohl an den Heinz im Kittel erinnern und lässt sich zu einem Patrouillenflug überreden. Wenn ich nur ansatzweise geahnt hätte, welch bedienungstechnische Qualen mich hier erwarten, hätte ich meinen Gleiter gleich in den nächsten Asteroiden gestürzt.

Wer suchet?
Ich bekomme also einen groben Überblick über die zu befahrende Strecke, was hernach großzügig als Briefing betitelt wird, und wühle mich anschließend durch die Menüs und Logos die am Bildschirmrand aufgeploppt sind.
Meine Suche nach einem Missionslogbuch bleibt vergebens, aber die Eckpunkte der momentanen Mission konnte ich mir ganz gut merken. Also fahnde ich nach meinen Patrouille-Jungs, bleibe jedoch erfolglos wie zuvor. Verdammt, sind die ohne mich abgehauen? Verzweifelt funke ich jedes Schiff im weiteren und näheren Umfeld an, bekomme jedoch bei der Auswahl möglicher Anreden nur "Wo ist der nächste Handelsstation?", "Wo ist das nächste Ausrüstungsdock?" und "Ergeben sie sich!" vorgesetzt. In meiner Situation nicht gerade hilfreich. Beim Probefunk an einen neben mir schwebenden Titanen kommt noch "Entschuldigung, der Angriff war unbeabsichtigt" hinzu. Dabei habe ich noch keinen einzigen Schuss abgegeben, höchst merkwürdig. Zudem blinkt alle paar Minuten ein Nachrichtenlogo, was mich jedes Mal in Erregung versetzt. Vielleicht mag mich ja doch jemand. Statt Meldungen meiner abtrünnigen Staffel-Kollegen erhalte ich aber nur dröge Tipps zur Schiffssteuerung.

.. der findet (vielleicht)
Vielleicht ist mein Team schnell noch einkaufen gegangen, tanken gefahren oder gar schon auf dem Weg zum Einsatzort. Jedenfalls beschließe ich meinen Aufenthalt in dieser Einöde abzukürzen und den ersten Patrouillensektor anzusteuern, was sich als äußerst positive Entscheidung herausstellt. Angekommen in "Heimat des Lichts" werde ich sogleich vom Geschwaderführer kontaktiert. Er wartet westlich des Nordtores auf meine geistige Unterstützung. Doch wo ist Westen? Nach einer halben Stunde Herumirrens kann ich nur bestätigen, dass die permanent eingeblendete Minikarte keine Hilfe beim Auffinden von interstellaren Himmelsrichtungen ist. Wenn ich irgendwann mein eigenes Heer befehlige, werde ich den Entwickler dieser kosmischen Untat persönlich besuchen und ein Patch beantragen. Fürs erste fliege ich halt mit übergeblendeter Zonenkarte, bislang brauche ich zwischen den zehnminütigen Flügen durchs Nichts eh keine Aufmerksamkeit auf den Bildschirm zu richten. Stattdessen schmiere ich mir diverse Brote mit Honig und Tomaten-Chili-Aufstrich. Soweit ist das Spiel recht lecker, obschon ein wenig eintönig.

Etwas später
Eine Stunde lang bin ich durch diverse Sektoren geflogen, habe an zahlreichen Stationen angedockt und musste feststellen, dass ich weder Handel treiben noch Aufträge annehmen kann. Bei einer versehentlichen Kollision mit einem umherstreifenden Himmelskörper erfuhr ich ferner, dass mein unförmiges Leichtmetallschiff wohl einem Bausatz aus der Müsli-Schachtel entsprang. Nach dem Kontakt zum Festgestein ist die Schaluppe halb verschrottet und eine Reparatur kostet ungefähr das Zehnfache meines derzeitigen Vermögens. Ich habe daher kurzerhand einen Neuanfang beschlossen, wobei auch dieses Mal kein Kampfgeschwader mich begleiten will. Meine erfolglose Suche lässt nur einen Schluss zu: die Frischlings-Staffel ist fahnenflüchtig. Die Typen haben sich einfach abgesetzt. Mein Brot ist auch alle, weshalb ich meine nächste Partie X3 verschieben muss.

Am Folgetag
Nach einiger Suche im Forum und Begutachtung von Komplettlösungen finde ich die Weltraumnische in der sich die feige Staffel-Bande versteckt hat. Als ich mich ihnen nähere ruft ihr Anführer zum Aufbruch, so als hätte man nur auf mich gewartet. Na wartet, ihr kommt mit auf meine "Später mal mit großen, einflussreichen Freunden besuchen"-Liste! Jetzt aber ab zum nächsten Wegpunkt, die Krack warten schon, oder wie die heißen. Weil die Staffel-Mopeds noch langsamer sind als mein eigenes Weltraum-Fahrrad setzte ich mich von der Gruppe ab und fliege schon ein wenig vor. Als ich das Sprungtor fast erreicht habe, meldet mein Geschwader Feindkontakt. Aus dem Nichts heraus tauchen sechs Feindsonden auf, doch ehe ich bei meinen dahinschleichenden Waffenbrüdern ankomme, haben diese ihre Klonk-Gegner bereits eliminiert. Wenn das so weitergeht, brauche ich dem Führer nur hinterher zu fliegen. Ist ja einfacher als ich dachte. Von Siegeszuversicht durchpulst erkunde ich die Küche nach neuem Brotaufstrich, während meine Mitstreiter hungernd ihre Reise fortsetzen.

Angriff!
Die zweite Attacke der Knick-Knack überrascht mit neuem Schiffsdesign. Das interessanteste daran ist wohl die moderne Panzerung, die auch nach mehrminütigem Beschuss durch meinen Zwillingslaser jeden Schaden verhindert. Nach zwei Rammattacken zergeht mein Raumer in Sternenstaub und ich beschließe mein Abenteuer vorerst mit der Feststellung, dass zehn Euro für ein 15-Stunden-Hörbuch ein recht fairer Preis sind. Allerdings wäre ich froh, wenn dem nächsten Spiel dieser Größenordnung ein paar belegte Brote beiliegen würden. Oder eine komfortablere Steuerung.

Fazit
Warum macht mir X3 den Einstig ins Weltraumleben so dermaßen schwer? Gegen die langen Flugstrecken habe ich inzwischen Ablenkungen gefunden. Die ersten beiden Bände von Krieg und Frieden sind bereits durchgelesen, obwohl ich noch vor zwei Wochen gar kein russisch konnte (Langeweile hilft da schon sehr!). Warum aber kann ich keine Teams bilden, mich mit Staffel-Heinis verbünden oder sie zumindest optisch irgendwie aus der Masse des Weltraumschrotts herausheben? Wer ist überhaupt der Kittel-Heinz aus dem "Intro" und wie lange werde ich planlos durch die Galaxis dümpeln, bis ich mir endlich ein Kampf-befähigtes Schiff leisten kann? Und warum kaufe ich Brot noch immer nur Laib-weise?

Bei all den ungelösten Fragen bleibt mir zumindest die Liste von virtuellen Kontaktpersonen die ich dereinst durch Waffenstrotzende Söldnerpräsens beglücken werde, wenn ich endlich meine eigene Flotte habe. Dieser Gedanke treibt mich an.
 
zuerst mal ein wirklich genialer Blog!!! Schreib weiter so! :)

Ich hab X3 eigentlich regelrecht verschlungen, auch X2 (btw. hab die beiden Games von der Computer Bild Spiele... ^^')

Die Steuerung ist für Maus und Keyboard ziemlich schwer, das stimmt. Vor allem im Kampf. Am besten spielt und steuert man mit Joystick, was einem natürlich dann auch ein besseres "Raumschiff-Gefühl" gibt :) Andererseits ist es mit Keyboard fast so, wie mit einer richtigen "Steuerkonsole" :D Und da ich eh lieber den Autopiloten hab fliegen lassen, war mir das nu auch wurscht :P

Apropos... du musst nicht so lang durch den ganzen Weltraum fliegen... eigentlich denke ich nicht, dass du das wirklich gemacht hast, aber trotzdem gibt es den SINZA... den "Singularitäts-Zeitverzerrungs-Antrieb", wodruch die Zeit im Spiel wahlweise 3-10x schneller vergehen kann und man so auch die Strecke schneller hinter sich bringt ;)
 
noch was vergessen, sorry...

Später im Spiel bekommst du ja auch noch den Sprungantrieb (wofür man allerdings eine Menge Energiezellen braucht), damit kommst du noch schneller durchs All ;)
 
Hinter der Unwilligkeit dieses Programmes steckt auch eine gewisse Herausforderung, der ich mich gerne annehmen will. Den Zeitverzerrer habe ich tatsächlich gefunden. Während einer Fahrt zwischen zwei Sprungtoren habe ich vor lauter Langeweile die ganzen Tasten meines keybords durchprobiert und einige nützliche Entdeckungen gemacht.

Die Steuerung über Maus und Keyboard ist tatsächlich ungewohnt, aber irgenwie auch ganz cool. Noch macht es Spaß, ich bleib also dran.

PS.: Danke für den Tipp mit dem Sprungantrieb. Hab ihn leider sehr unvorsichtig ausprobiert und bin nun auf der Suche nach billigen Energiezellen. X3 - Der zweite Versuch
 
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