Der moralische Zeigefinger am Abzug

RoninXM

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In den letzten Jahren hat (lässt man mal die Grafik beiseite) gerade die Story in Spielen einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht. Auch (oder gerade) im Shooter-Genre.

Statt die immer gleichen Supermachos durch Horden von Schlägern/Nazis/Russen mähen zu lassen, wurden auch immer mehr sensible Themen angesprochen.
Allerdings kann dabei ein sehr großes Problem entstehen, welches in letzter Zeit immer mehr auffiel: wenn Handlung und Spielmechanik divergieren, hinterlässt die Moral einen faden Beigeschmack.

Um dies zu untermauern, ist es nötig, erst einmal auf ein positives Beispiel einzugehen:
Heavy Rain.
Jeder, der dieses Spiel (oder doch eher Spielfilm?) gezockt hat, wird zustimmen können, dass diese Art der interaktiven Story derzeit erzählerisch das Novum im Gamingbereich darstellt.
Um dies zu erreichen, war allerdings ein klarer Einschnitt im Gameplay notwendig. Bei Actionsequenzen artete das Spiel zu einer Quicktime-Orgie aus. Man wird quasi stiller Zuschauer.
Trotzdem behaupte ich: es war notwendig. Was wäre, wenn man das Spiel anders aufgebaut hätte? Ethan Mars, der im Stile von "Taken" oder "96Hours" mit Gewalt seinen Sohn sucht? Hätten die leisen Untertöne der Story noch im Verhältnis zur Action gestanden?

Und hier kommen wir nun zum eigentlichen Problem, welches derzeit gehäuft AAA-Titel haben, allen voran Bioshock Infinite, aber dazu später mehr.

Während "Spec Ops: The Line" es noch schafft, das Gameplay des 3rd-Person-Shooters durch die Anti-Kriegs-Problematik der Handlung zu rechtfertigen, wird es bei FarCry 3 schon schwieriger, beides in Einklang zu bringen.
Ok, es geht darum, wozu ein Mann fähig sein kann, wenn man ihm quasi "die Pistole auf die Brust" setzt. Allerdings vollzieht sich die Entwicklung vom reichen Schnösel, der schon wimmert, wenn sein Bruder dem ersten Gegner das Messer in den Körper rammt, zur ultimativen Ein-Mann-Armee zu schnell.
Wenn man schon in den Zwischensequenzen weit mit der Moralkeule ausholt, sollte das Gameplay dies nicht zu stark verwässern.

Noch eine Spur härter verläuft dieser Übergang bei TombRaider. Uncharteds Nathan Drake, welches wohl gameplaytechnisch am ehesten damit vergleichbar ist, ist ein moderner Indiana Jones, der selbst im hitzigsten Feuergefecht Gegner mit den blanken Fäusten ausknockt.
Die Guten sind die Guten und die Bösen haben sich deshalb schon ihr Lebensrecht verwirkt, weil sie sich dem Helden in den Weg stellen.
Anders in TombRaider. Die junge Lara wird als jung und zerbrechlich dargestellt. Selbst erlegte Tiere tun ihr Leid. Passt es dann dazu, dass sie Handlungsverlauf hunderte Gegner mit kaltblütiger Präzision tötet, oder gar bestialisch mit Nahkampffinishern niederstreckt? Gerade letzteres hat nichts mehr mit reinem Überlebenswillen zu tun. Allerdings muss man auch sagen: wäre das Spiel auf Stealth fokussiert, dürfte man es wohl nicht mehr wirklich TombRaider nennen.

Kommen wir nun zu Bioshock Infinite. Es ist grandios, keine Frage. Und die Handlung lässt einen gerade zu Anfang und zum Ende hin mit einigen WTF-Momenten zurück. Allerdings steht grade hier die Story im krassen Kontrast zum Gameplay.
Denn in keinem der bisher genannten Games, steht die Moral so groß und neonfarben beleuchtet über allem, was das Spiel ausmacht.
Es geht um Läuterung, Schuld, Sühne und den Wunsch der Wiedergutmachung. Booker ist ein schlechter Mensch. Er hat Unschuldige ermordet und bestialische Kriegsverbechen begangen. Und dann noch die Sache mit seiner Tochter?
Während die Story uns also immer wieder mit diesen moralischen Fragen konfrontiert, zeichnet das Spiel ein ganz anderes Bild. Als würde Infinite aus zwei Teilen bestehen, die nicht so recht zusammen passen.
Booker wird im Museum mit seinen vergangenen Gräueltaten konfrontiert und wirkt auch in diesem Moment ziemlich betroffen. Ist es dann so klug, ihn danach gleich wieder dutzende Gegner niedermähen zu lassen? Diese Reue verfehlt total ihre Wirkung, wenn man vorher schon als Spieler hunderte Leben auf dem Gewissen hat. Und wenn Booker dazu fähig ist, Gegner von Killerkrähen zerhacken zu lassen oder sie mit dem Skyhook zu zerfetzen, dann wirkt die Geschichte eines Mannes, der Erlösung von seinen Sünden sucht nicht mehr glaubhaft. Seine Verbrechen bei Wounded Knee oder im Boxeraufstand berühren einen als Spieler einfach nicht mehr, wenn man grade dutzende Gegner mit "Beherrschung" in den Selbstmord getrieben hat. Dies ist kein "sauberes" Töten mehr, welches man mit dem Selbsterhaltungstrieb rechtfertigen könnte.
Die Story kann noch so gut sein, doch wenn das Gameplay, welches die Handlung zusammen hält, so sehr als Fremdkörper wirkt, ist irgendwo etwas schief gelaufen.
Es ist natürlich klar: es MUSS etwas zum Spielen geben. Allerdings hätte wohl hier die Mechanik eines Dishonored besser gepasst.
Abschließend ist zu sagen, dass es generell positiv ist, dass sich aktuelle Spiele auch sensibleren Thematiken zuwenden.
Jetzt liegt es an den Entwicklern, Spielemechanik und Handlung besser in Einklang zu bekommen. Man darf gespannt sein, was uns in Zukunft noch erwartet.
Die Kunst ist es, eine Geschichte so mit dem Gameplay zu verknüpfen, dass einem als Spieler so wenig wie möglich Interaktivität geraubt wird. Immerhin will man spielen und nicht nur zuschauen. Und dies ist wohl noch der gewichtigste Kritikpunkt, den man Heavy Rain zuschreiben muss. Man darf gespannt auf Beyond: Two Souls und Konsorten sein.
 
Dein Blog gefällt mir wirklich gut, aber gerade zu Heavy Rain habe ich eine andere Meinung: Die Steuerung war so verkorkst, dass es mir teilweise schwer fiel mich auf die Story zu konzentrieren. Außerdem halte ich das Story Telling dieses Spiels für einen Rückschritt. Die FMV-Adventures (Full Motion Video) der 90er hatten einen ähnlichen Ansatz: Kaum Action, dafür aber ellenlange Videosequenzen für jeden einzelnen Klick mit der Maus. Die Story war interessant, wenn am Ende auch nicht so ganz mein Fall, aber die Erzählweise fand ich eben antiquiert und nicht wirklich modern oder gar wegweisend.

Die anderen Spiele muss ich bis auf Bioshock Infinite wohl erst noch spielen, um richtig nach zu vollziehen, was du schreibst. Allerdings habe ich da schon so einige Vorstellungen durch Artikel gewonnen und kann von diesen aus nur zustimmen, was da "zu schnell" abläuft.

Bei Bioshock Infinite kann ich dir in großen Teilen zustimmen, dass der Kontrast zwischen Story und Gameplay ja wirklich RIESIG war. Doch die Frage wäre, wie hätte er sonst Elizabeth retten sollen? Er IST nun mal ein gefallener Mann und ich fürchte, da gilt auch das alte Sprichwort "Manche Menschen ändern sich nie." ;) Vor allem aber war es der Spieler, der diese teilweise schon recht üblen Todesarten über seine Feinde verhängt hat... Nicht Booker... Vielleicht spielen wir das Spiel einfach falsch?!?
 
Sehr cooler Blog!
Ich finde zwar auch, dass Games einen riesen Schritt nach vorne gemacht haben, was das Storytelling angeht.
Wenn man das allerdings mit Filmen oder Büchern vergleicht, gibt es im Verhältnis immer noch viel zu wenig unspektakuläres Zeug (Obwohl es da auch sowas Transformers und Twilight gibt...).
Heavy Rain oder auch Vorgänger Fahrenheit fand ich von der Erzählweise super. Das Gameplay war zwar eher schlecht, vor allem wenn man sich bei Heavy Rain mit Six-Axis in die Ecke schmeissen musste.
Bei Far Cry 3 und Tomb Raider fällt mir das mit dem Schnitt zwischen Story und Gameplay zu deutlich aus. Ein fast-jgendlicher Urlauber wird zum Killer, der mit Flammenwerfern zum Massenmörder wird und sich dann noch beim 200. Tier ekelt, das er schlachtet, ist irgendwie nicht authentisch. Bei Tomb Raider fand ich das ähnlich, gerade aber dem 2/3 des Spiels.
Von Bioshock Infinite war ich wirklich begeistert. Das war ein Spiel, das mich fast nur durch die Story am Ball gehalten hat. Bioshock 2 fand ich nicht so toll. Spielerisch hat mich Infinite auch nicht umgehauen. Das mit Wounded Knee und so ist mir auch deutlich aufgefallen, aber ich war mir auch nie sicher wie es sich mit Booker denn jetzt geistig so verhält. Deswegen hat sich für mich alles sinnvoll geschlossen und es war mit dem Gameplay gut vereinbar. Trotzdem: Eine Idee wie in Dishonored, das man durchspielen kann ohne jemanden zu töten, wäre mit richtig guter Story wie bei Bioshock perfekt. So hat mich Dishonered gar nicht gepackt.
 
Bei Bioshock Infinite hatte ich immer so ein komisches Gefühl, dass mit dem Spiel was nicht stimmt. Du sprichst aus, was ich nicht erkannt habe.
 
Schöner Blog. Ich kann nur empfehlen, The Last of Us zu spielen. Ein Actionspiel, bei dem Handlung und Gameplay (in meinen Augen) perfekt zusammenpassen.
 
@ Thomas: Ist schon vorbestellt ;-).

Wie im Blog geschrieben, hoffe ich auch sehr auf ein hamonisierendes Gameplay bei Beyond: Two Souls.

@all: Danke für die Kommentare!
 
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