Fluse Jones und der Tempel der Bettwanze

OldSalmon

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Vorsichtig schlich Fluse durch die Schatten, die die riesigen Kekskrümel warfen. Der Staub von Monaten bedeckte den Boden wie eine bleiche Decke und knirschte unter Fluses Sohlen.
Die Sonne stand hoch am Himmel, doch ihre Strahlen brachten keine Wärme. Es war kalt, die Luft roch muffig und Fluse fragte sich, warum er ausgerechnet jetzt hier sein musste. Hier, im Krümelgebirge Zentralbettaniens. Hier herrschten die Milben. Sie versteckten sich in den dunklen Löchern vor dem Tageslicht. Ihre Zeit war die Nacht. Dann krochen sie hervor und bauten ihre Stände auf, belästigten Reisende und drehten ihnen völlig überteuerte Uhren aus China oder zweifelhafte Versicherungen an. Ganz besonders gefährlich war die Milbenmafia, die gerne junge Mädchen nach Ostbettanien verschleppte, sie süchtig nach Schokolade machte und dann als Reinigungskräfte an reiche Männer im Westen verkaufte.
Jetzt jedoch war alles ruhig. Misstrauisch sah Fluse sich um, musterte die schattigen Höhlen. Nichts regte sich. Fluse beschleunigte seinen Schritt. Er wollte diese Schlucht so bald wie möglich hinter sich lassen. Er hatte gerade ihr Ende erreicht und war im Begriff, das dahinterliegende Tal zu betreten, als er es hörte.
"Mein Herr! Haben Sie sich jemals gefragt, was passieren würde, wenn Sie über einen Igel stolperten und im Sturz frontal durch das Schaufenster einer Kurzwarenhandlung krachten??
Fluse wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Aus einer kleinen Höhle kam eine Milbe angelaufen. Sie trug einen schlecht sitzenden Anzug und hielt einen zerfledderten Aktenkoffer in ihren Tentakeln. "Wir von der Unnötig-Versicherung können Ihnen auch in so einem Fall, der häufiger vorkommt als allgemein angenommen, beistehen. Ich habe hier ein paar interessante Broschüren für Sie. Wussten Sie übrigens...?
Die Milbe hörte nicht auf zu reden und übergoß Fluse mit einem Schwall aus Worten. Er musste Ihnen widerstehen, durfte sich nicht einlullen lassen. Er musste weg! Er wandte sich zur Flucht, doch es war bereits zu spät. Er verlor das Bewusstsein. Seine Beine knickten weg und er kippte in den Staub.
Als er wieder zu sich kam, lag er noch immer am Boden. In seiner linken Hand entdeckte er einen Stapel bunter Prospekte und einen Versicherungsschein, in seiner rechten einen billigen Wecker aus Plastik. Und dazwischen seinen leeren Geldbeutel.
"Verdammt, nicht schon wieder!?
Wütend rappelte Fluse sich hoch und setzte seinen Weg fort. Den Schaden würde er dem Auftraggeber in Rechnung stellen.
Er kam an einen breiten Abgrund, den man nur "Ritze? nannte. Er zog sich in einer geraden Linie durch ganz Bettanien und teilte es in Nord und Süd. Eine Hängebrücke spannte sich über die gähnende Leere. Sie musste ihre besten Tag schon hinter sich gehabt haben. Die Bretter sahen morsch aus und die Seile machten den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick zerreissen. Auf der anderen Seite der Ritze sah Fluse sein Ziel, den uralten Tempel der Bettwanze. Er seufzte.
"Warum können diese Tempel und Heiligtümer nicht mal auf einer sonnigen Insel liegen? Oder in einem lauschigen kleinen Wäldchen? Aber nein, immer müssen sie zu allen Seiten von tödlichen Gefahren umgeben sein und innendrin wartet dann wieder irgendein übersinnliches Viech darauf, mir den Kopf abzubeissen. Ist doch immer das Gleiche.?
Achtsam tastete er sich auf der Brücke vor, testete ihre Stabilität. Sie knirschte und ächzte unter seinem Gewicht, als er sie überquerte. Allen Erwartungen zum Trotz hielt sie aber und er kam wohlbehalten auf der anderen Seite an. Fluse zuckte mit den Schultern und ging weiter.
Der Tempel der Bettwanze ragte aus einem Feld voller Hautschuppen in den Himmel. Er sah aus wie eine Sichel, die zur Hälfte im Boden verborgen lag. Ihre gebogene Spitze glänzte in der Sonne.
Fluse hatte viel über diesen Ort gelesen. Vor abertausenden von Jahren soll ein geheimer Kult den Tempel bewohnt und für seine Rituale gebraucht haben. Fluse fragte sich, ob noch Reste des Kultes in den leeren Gängen des Tempels ihr Unwesen trieben.
"Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!?
Natürlich taten sie das.
Kreischend rannte eine Horde Milben auf ihn zu. Sie waren nackt und hatten sich mit schwarzer Farbe eingerieben. In den Tentakeln schwangen sie Speere aus Katzenhaaren.
"Ach, das ist doch wie in einem schlechten Actionfilm?, seufzte Fluse und nahm seine Peitsche in die Hand. Die durchgedrehten Milben hatten keine Chance. Er wirbelte durch sie hindurch und ließ seine Waffe durch die Luft schnalzen, versohlte ihnen die Hintern. Quiekend warfen die Kultisten ihre Speere fort und ergriffen die Flucht.
"Pah! Wie konntet ihr glauben, eine Chance gegen mich zu haben? Diese Geschichte trägt MEINEN verdammten Namen im Titel! Ihr seid ja nicht einmal richtig Nebencharaktere!?
Fluse rollte seine Peitsche auf und trat durch das breite Tor das Tempels.
Der Tempel bestand nur aus einem einzigen, riesigen Raum. In der Mitte befand sich eine Art Becken. Eine klare Flüssigkeit brodelte darin. Und da war noch etwas. Eine Wanze, dreimal so groß wie Fluse, hockte am Rand des Beckens.
"Wer hätte gedacht, dass sich im Tempel der Bettwanze auch tatsächlich eine Wanze aufhält. Wie völlig unvorhersehbar?, grummelte Fluse und stieg die Stufen zum Becken hinab, die Finger an der Peitsche. Die Wanze sah auf.
"Grüße, Reisender! Willkommen im Wellnesshotel Nachtsabber! Möchtest du ein erfrischendes und wohltuendes Bad in unserem Sabberpool nehmen? Er wurde gerade frisch gefüllt.?
Fluse hielt inne.
"Wellnesshotel??, fragte er.
Die Wanze nickte und richtete sich zu voller Größe auf. Ihre Fühler streckten sich. "Das Hotel Nachtsabber ist das wohl traditionsreichste Haus für Erholung und Entspannung in ganz Bettanien. Unsere Bäder sind berühmt und unser hauseigenes Hautschuppen-Curry eine wahre Delikatesse.?
Fluse kratze sich verwirrt am Kopf, wobei er seinen Schlapphut hochschob. "Ich dachte, hier gäb's irgendwelche alten Relikte oder so etwas in der Richtung. Tödliche Gefahren und so weiter.?
"Ach was?, die Wanze schüttelte ihren eckigen Kopf, "Das hier ist viel lukrativer und macht mehr Spaß, als irgendwelchen Schatzjägern Köpfe abzubeissen.?
"Und was war mit den Milben da draußen los??
"Das sind unsere Motivationstrainer. Putzige kleine Kerlchen, aber ein wenig zu enthusiastisch.?
Fluse rückte sich seinen Hut wieder zurecht.
"Genau in diesem Moment ist mir die Geschichte viel zu albern geworden. Wer denkt sich denn sowas aus? Es reicht! Ich geh nach Hause. Sucht euch einen anderen Dummen. Ich bin ein Romanheld mit Staatsdiplom und werde viel zu schlecht bezahlt, um mir so einen Unfug anzutun. Ich hätte der nächste John Sinclair sein können! Guten Tag!?
Und so verschwand Fluse wutentbrannt und unverrichteter Dinge aus dem Tempel. Nur die Wanze blieb zurück. "Was soll's. Er weiß ja nicht, was er verpasst?, sagte sie zu sich selbst, stieg ins Becken und gönnte sich ein Nickerchen.
 
Gestern Abend wurde von mir eine Gute-Nacht-Geschichte gewünscht. Von daher habe ich einfach mal den gesammelten Schwachsinn in meinem Kopf ausgeschüttet und zu einer Kurzgeschichte zusammengeklebt. Ich finde das Ergebnis ganz unterhaltsam und will es euch natürlich nicht vorenthalten.
 
Ekelhaft aber unterhaltsam. Und gute Werbung für diese milbentötenden Dampfreiniger. Ich brauch so ein Ding...
 
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