Lieber Arm dran als Arm ab

Goemon

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Das Problem ist so alt wie der idiotische Spruch der hier als Überschrift herangezerrt wurde. Unser Volk teilt sich, wie jedes andere auch, in mehr oder minder differenzierte Einkommensgrüppchen, gemeinhin als Bevölkerungsschichten bekannt. Jene unterscheiden sich im verfügbaren Bargeldvolumen und dadurch letztendlich auch in ihrer Befähigung zur Aus- und Weiterbildung, was sich wiederum in Arbeitsmarktchancen und intellektueller Stimulans der Nachkommenschaft niederschlägt.

Ein wichtiger Schritt zur Neutralisierung dieser Ausbildungslücken ist die Identifizierung der Betroffenen. Anschließend kann man dann Konzepte entwickeln und Gegenmaßnahmen ergreifen. Das mag sich nach einer relativ simplen Vorgehensweise anhören, aber unter unserem momentanen Koalitionsregime beginnt der Hamster bereits auf der Etappe der Betroffenen-Portraitierung zu humpeln. Also im Startareal. Das reduziert die Chancen auf einen erfolgreichen Lauf natürlich erheblich. Zum Glück muss man hierzulande nicht erst loslaufen um irgendwo anzukommen, schließlich haben Mathematiker und Finanzminister einigermaßen erfolgreich aufgezeigt wie man das Start zum Ziel umdefiniert und sich letztendlich sehr viel sinnlose Wegstrecke ersparen kann.

Ran an den Kuchen
Den Ansatz zur Diagnostizierung finanziell benachteiligter Menschen gibt es schon länger. Er nennt sich Armutsbericht und wird jährlich von den Landesregierungen veröffentlicht. Oder auch nicht. Der aktuelle Bericht Brandenburgs steht nämlich, wie einige andere auch, weiter unter Verschluss. Obwohl jeder weiß, was drin steht. 40% aller Brandenburger Arbeitnehmer leben in prekären Arbeitsverhältnissen (Einkommen nahe der Armutsgrenze). 13% beziehen Hartz-IV. Die bundesweite Arbeitslosenquote beträgt, reell betrachtet um die 12,8%. 41,1% der Ostdeutschen sind ohnehin Geringverdiener. Ganze 28,2% der Deutschen beziehen in irgendeiner Form staatliche Unterstützung. Kurzum, es besteht Handlungsbedarf.

Eine Frage der Grenzziehung
Nun lehrt uns aber die nationale Schönfärberpolitik, dass man Statistiken nicht glauben darf, ehe sie nicht vom statistischen Bundesamt und der Landesregierung umgebastelt wurden. Letztere gibt sich allerdings seit Erstbegutachtung des Armutsberichts 2007 im Frühling alle Mühe, die Akte wieder verschwinden zu lassen. Immer wieder wurde von das Papiermonster an das Sozialministerium Potsdam zurückgereicht, um die Zahlen überarbeiten zu lassen. Die weigern sich bis heute standhaft aus ihren 13,7% von Armut bedrohten Brandenburgern eine angenehmere Angabe zu machen. Sozialministerin Dagmar Ziegler (SPD) schwebt da eine andere Zahl vor, 2,8% wäre ihr ganz angenehm. Sie hat auch tolle Konzepte dargereicht, um diesen Wert zu erreichen. Es ist lediglich notwendig die Armutsgrenze auf 40% des durchschnittlichen Monatseinkommens zu setzen, das entspräche dann einem Monatsgehalt von 468 Euro. Hierdurch zieht die Ministerin einen simplen Schluss, der das Volk voller Erleichterung aufatmen lässt: "Nur eine Minderheit ist arm."

und noch mal umgerührt ...
Bei allen Querelen um Grenzziehung, Sterndeutung und Umbenennung steht dem Bericht aber noch ein ganz anderer Sittenwächter im Weg: das Büchlein darf erst veröffentlicht werden wenn das Kabinett dem zustimmt und jenes befasst sich mit der undringlichen Aufgabe erst im Dezember. Über Lebkuchen und Glühwein gebeugt wird man dann vermutlich bunte Markierungen in dem inoffiziellen Pamphlet machen und es anschließend an seine Absender zurückgeben. Aber bis dahin bleibt dem Sozialministerium noch viel Zeit um sich neue Definitionen zu überlegen für so wichtige Begriffe wie "extreme Armut", "von Armut bedroht" oder "in prekärer finanzieller Situation lebend". Das erleichtert den Zuständigen die Arbeit und gibt unserem Finanzminister die Möglichkeit, mit wenigen Stempeln und einer Excel-Tabelle den gesamten Bundeshaushalt effizient zu organisieren. Es ist doch viel eleganter sich nicht die ganzen einzelnen Menschen anschauen zu müssen, sondern sie stattdessen einfach in ein großes vordefiniertes Sieb zu schütten, Maschengröße 468 Euro. Wer dann noch durchfällt, kann ja immer noch in eine andere Statistik abgeschoben werden.

Fazit
Fest stehen in dieser Debatte genau zwei Dinge:
1) Es gibt Armut in Deutschland.
2) Von der ewigen Dummquatscherei wird sie nicht abnehmen.
Dass hier ein immenser Anteil an SPD-Politikern beteiligt ist brauche ich wohl nicht weiter ausführen. Irgendwie nimmt sich im Ministerium keiner so richtig ernst und das Resultat ist eine heftige Debatte über Formulierungen und Definitionen. Cleveres Konzept, denn solange man über die Ausdrucksweise zankt, muss man sich nicht mit dem eigentlichen Problem befassen. Vielleicht merken die Deutschen gar nicht, wie sie von bürokratischen Diätenhamstern vorgeführt werden, wenn man den Bericht zur Sozialsituation weiter verschiebt?!

Andererseits kann ich mich freuen derart frei über Bürgerbetrug berichten zu können. Erst gestern wurden in Vietnam zwei Journalisten verknackt, weil sie "Freiheit und Demokratie missbraucht" haben. Nguyen Viet Chien muss aufgrund seiner Berichterstattung über Korruptionsaffären im Verteidigungsministerium zwei Jahre im Gefängnis verbringen. Ein weiterer Reporter hat für das gleiche Vergehen zwei Jahre Umerziehung vor sich. Ich weiß nicht was schlimmer ist, vietnamesischer Knast oder Gehirnwäsche?! Auf jeden Fall vielen Dank an unsere Bundesregierung für das mir großzügig zugestandene Recht auf unbezahltes Freidenkertum!
 
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