Nicaragua kriegt sich nicht ein

Goemon

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Der letzte nicaraguanische Bürgerkrieg ist schon wieder dreißig Jahre her. Es wird also Zeit, dass sich das Land wieder bewegt. Damals, im Juli 1979, stürzte eine Revolutionsbewegung die Regierung und errichtete eine pseudo-kommunistische Junta, die unter der weisen Aufsicht von Daniel Ortega ein Regime aufbaute, welches sich grob am kubanischen Vorbild orientierte. Und genau wie in Russland und Kuba wurde eine kleine Zahl von Parteigenossen stetig dicker, während das Volk vor sich hin hungerte und fleißig den Wohlstand des Proletariats förderte. Bewohner der "neuen Bundesländer" (Ostdeutschland/Ex-DDR) kenne dieses Phänomen.

Vom Regen in die Traufe
Die Sandinistas, oder Mitglieder der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), hatten also die Somoza-Diktatur gestürzt und ein Regime mit kommunistischer Orientierung errichtet, was durchaus löbliche Ansätze beinhaltete, jedoch vor dem Volke an der korrumpierten Allmacht ihrer Parteispitze scheiterte. Glücklicherweise befindet sich der mittelamerikanische Staat nur einen Raketenstart von den USA entfernt, was die Beseitigung dieses undemokratischen Übels erleichterte. Ronald Reagan hatte die rettende Idee. Er veranlasste die Verminung von Corinto, dem einzigen Pazifikhafen von Nicaragua, und sandte großzügige Unterstützung an die Contra, einer Miliz-artigen Gruppierung die zum Teil aus ehemaligen Militärs des gestürzten Diktators Anastasio Somoza Debayle bestand. Mit amerikanischen Waffen und Dollars gerüstet, starteten diese "Freiheitskämpfer" Überfälle auf ländliche Dörfer, stahlen Vieh und verbrannten Ernten, konnten jedoch keine Befreiung des Landes herbei führen. Selbst die ersten Wahlen 1984 bestätigten die kommunistische Regierung. Die vereinigten Staaten, seit jeher in jeglichem Umgang mit Schusswaffen versiert, blieben aber standhaft, irgendwann musste das Volk dem terroristischen Druck doch nachgeben?! Die USA verschacherten also weiterhin heimlich militärische Güter an den Iran und erhielten mit dem so erworbenen Finanzpolster den Druck aufs nicaraguanische Volk aufrecht. Da Costa Rica schon damals als "die Schweiz Mittelamerikas" bekannt war, konnten die US-Terroristen nur von Honduras aus operieren. Aber durch die hohe wirtschaftliche Bindung zum demokratischen Amerika war die Bananenrepublik ehedem viel einfacher zu handhaben.

Dritte Wahl
Erst 1990 verlor die FSLN ihren profitablen ersten Regierungsplatz an die Unión Nacional Opositora (UNO). Zu jener Zeit waren die USA vom internationalen Gerichtshof Den Haag in Anerkennung ihrer paramilitärischen Destabilisierungs-Beihilfe längst zu 2,4 Milliarden Dollar Ausgleichszahlungen verurteilt worden, eine Geldeinheit die bis heute nicht vom Staatskonto abgebucht wurde. Dennoch gelang Nicaragua unter der Führung von Violeta Chamorro eine Wiederbelebung internationaler Handelsbeziehungen, obwohl sie nach alter Familientradition mit Contras und Sandinistas gleichermaßen kooperieren musste. Zwar gab es auf beiden Seiten Abspaltungen enttäuschter Gewaltgruppierungen, Wiederbewaffnung und reichlich Drohgebärden gegen alle Brüder und Schwestern des demokratischen Wandels, doch da irgendwie alle Splittergruppen am Regierungsapparat beteiligt waren, konnte man schlecht einen neuen Aufstand proben. Unterwandert wurde Madame Chamorro trotzdem, wie die eklatante Steigerung von privaten Reichtümern bewies. In der als Piñata bekannten Schwemme von Privatisierungen knüppelten die Kenner des Systems munter auf dem frontal fixierten Staatsesel herum und klaubten die Unternehmen, Plantagen und Industriekomplexe auf, die dabei zu Boden fielen. Jene Zeit war für Contras und Sandinistas gleichermaßen fett, aber eigentlich wollte ja jede Seite die Blutwurst für sich allein haben?

Vorwärts immer ? rückwärts nimmer
1996 mündete der Betrug am Volk in der Präsidentschaft von Arnoldo Alemán, der seine korrupten Staatsdiener mit Vergünstigungen fütterte, während er sich selbst juristische Immunität und Festgehalt auf Lebenszeit verordnete. Fünf Jahre später löste ihn die liberale Partei PLC ab, die unter der Führung von Enrique Bolaños einen umfangreichen Kampf gegen sämtliche Korruption anstrebte. Dumm nur, dass sich die Opposition gegen die PLC verschwor und weiterhin eigenständig und ohne Bolaños? Einflussnahme am politischen Apparat drehte. Sandinistas und Contras bildeten eine oppositionelle Mehrheit und schraubten an den Gesetzen zur Machtübernahme, wodurch der FSLN während der Wahlen 2006 eine einfache Mehrheit von 38,1% ausreichte, um sich erneut in den Staatsvorstand zu setzen.

Ortegas zweite Amtszeit
Seit Januar 2007 ist Daniel Ortega nun wieder Präsident von Nicaragua und erhält so die Möglichkeit, den wirtschaftlichen Ruin des Landes zu Gunsten eigener Bevorteilung weiter auszubauen. Zwei Jahre nach seiner Amtsübernahme ist dem Volk klar geworden, dass es ihn gar nicht in dieser Position sehen will, wodurch Ortega neue Mogeleien auflegen muss, um seine Macht zu verfestigen. Die Kommunalwahlen Anfang November hätten diesen Abwärtstrend deutlich zeigen können, fielen für die rebellische FSLN jedoch eher positiv aus. Mancher mag einwerfen, dass die vielen Stimmzettel die halb verbrannt auf Müllkippen gefunden wurden und allesamt gegen die regierende Partei sprachen, möglicherweise nicht mitgezählt wurden. Da jedoch niemand unabhängigen Beobachter zur internationalen Absicherung des Wahlverfahrens abstellte, was wohl auch mit der radikalen Verbannung selbiger durch bewaffnete Regierungstruppen forciert wurde, muss das Rätsel um den überraschenden Wahlausgang vorerst ungelöst bleiben.

Was ist Zukunft?
Mittlerweile fühlen sich dermaßen viele Bürger politisch missverstanden, dass sie offen gegen ihre legislative Bevormundung vorgehen. Unter Einsatz von Knüppeln, Brettern, Gasflaschen und Molotow-Mixgetränken proben sie den Aufstand, welcher bislang nur unter großem materiellem Aufwand verhindert werden konnte. Regimetreue Prügeltrupps drängen die Widersacher zurück und scheren sich freundlicherweise kaum um Inhaftierung der Parteifeinde, schließlich reichen die Gefängnisse des Landes bei weitem nicht aus um ein Drittel der Bevölkerung einzusperren. In den Straßen herrscht Krieg, einige Regionen werden inzwischen von der Polizei gemieden, weil sie als Uniformträger im allerorts um ihr Leben fürchten müssen. Das Volk hat also begriffen, dass Ortegas Junta nicht für den Fortschritt steht. Nur, welche Alternative böte sich nach einem erfolgreichen Sturz? Würde sich die gewalttätige Einflussnahme einer der beiden Extremparteien überhaupt verhindern lassen? Für viele scheint Bürgerkrieg jedenfalls erstrebenswerter als Akzeptanz bisheriger Zustände.

Als Europäer hat man kaum eine Vorstellung von den Umständen die den durchschnittlichen Bürger zum bewaffneten Widerstand gegen den Staat führen können, aber zumindest die Ausmaße solcher Schlachten dürften uns bewusst sein. Schon Paul Kamm & Eleonora McDonald mahnten zur Vorsicht vor übereilten Kriegsmaßnahmen: "Ist?s a mighty long way to be gone." (All the young boys)
 
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