slomo_rotke schrieb:
Das ist so formuliert nicht ganz richtig. Es ist absolut unstrittig in der Psychologie, dass ein Erleben jedweder Situation unabhängig vom Medium ist, wenn es um das Erlernen von Verhaltensmustern geht. Das gilt auch für das Erlernen aggressiver Verhaltensmuster. Nur ob und wie diese Verhaltensmuster zur Anwendung kommen ist eine andere Frage.
Das Erlernen ist in meinen Augen eher ein Kennenlernen. Ich habe schon unzählige virtuelle Schießprügel in der "Hand" gehabt, also auf dem Bildschirm vor mir her geführt, stehe aber in der Realität erstmal fragend vor einem Luftgewehr. Gut, der Abzug findet sich schon noch irgendwie, ruhig halten kann ich aber selbst beim Zielen auf Scheiben schon nicht. Das Muster, daß ich mit Gegenständen zielen und schießen kann, das erfahre ich, ja. Also physische Gesetze lernt man bei den Bildern kennen. Doch darauf wollte ich nicht unbedingt heinaus, denn ...
slomo_rotke schrieb:
Reale "Vorbilder" wirken sehr stark. Je fiktiver dieses Erleben aber ist, desto stärker findet eine bewusste Rahmung statt, wie Du sie ja auch an Dir feststellst. Aber das Verhaltensmuster "Bedrohung- > greife einen Rasenmäher -> fräse Dich durch die Meute" hast Du gelernt und es ist abrufbereit ;-).
... der Abstraktionsgrad ist aus meiner Sicht von entscheidender Bedeutung. Es sind zwei Ebenen, ob ich meinem Nachbarn oder jemand anders mit dem Rasenmäher eine neue Frisur verpasse, mich von oben bis unten einsaue, oder ob ich ein paar Tasten drücke. Die Übertragbarkeit fängt schon damit an, einen Rasenmäher entsprechend zu stemmen. Reale Gewalt wirkt stärker, das wollte ich ausdrücken. Du hast ja ausgezeichnete Beispiele dafür gefunden. Also grundsätzlich hat der Jugendschutz seinen Sinn, den befürworte ich voll und ganz. Daß ein Spieler von 10 Jahren leicht in Versuchung geraten kann, erlebte Bilder nachzustellen, daran habe ich keinen Zweifel. Daß Spiele einen Einfluß haben, wollte ich nicht abstreiten. Nur muß gleichzeitig klar sein, daß reale Beispiele, die es zuhauf in der Glotze gibt, eher zur Nachahmung einladen, weil diese viel greifbarer und unmittelbar sind. Also die Beurteilung der gezeigten Handlungen (fiktiv, real) muß sich nach dem Medium richten. Sonst führt das zu solchen hanebüchenen Urteilen, wie wir sie speziell auf den öffentlich-scheußlichen Kanälen wahrnehmen mußten. Grundsätzlich stimmen wir aber vollkommen überein.
Falconer schrieb:
Die Tagesschau informiert auf höchst seriöse, keinesfalls reißerische und pietätvolle Weise.
Zunächst einmal stehen die von dir beispielhaft genannten privaten Nachrichten-Pendants aus meiner Sicht nicht zur Disposition. Daß diese populistische Kotze aus der Boulevardhölle für Rückverdummung zuständig ist und uns bald wieder auf Steine klopfen läßt, setze ich voraus
Die Tagesschau ist im Grunde nicht verkehrt und trifft am ehesten das, was ich in diesem Informationssektor erwarte. Was die reinen Nachrichtensender diesbezüglich liefern, mag ich nicht beurteilen, dort zappe ich meist durch. In der Konsequenz ist sie aber mit manchen Beiträgen pietätlos. Welche Inhalte das sind, habe ich benannt. Das kann meine ureigene Beurteilung und Weltanschauung sein, gut möglich. Ich erwarte nicht, daß du es direkt nachvollziehen kannst, denn ich differenziere sehr stark. Es gibt Menschen, die beim Anblick von Blut der Ohnmacht nahe sind, in diese Richtung tendiere ich. Das ist ein sensibler Punkt für mich, wobei ich am Splatter äußerst viel Gefallen finde. Solange klar wird, daß der Rahmen ein frei erfundener ist. James Ryan beispielsweise ist schon ziemlich hart und die Alterseinstufung ein Witz.
Falconer schrieb:
Über menschenverachtende Gewalt seriös zu berichten muss selbstverständlich sein.
Es kommt ganz auf die Maßhaltigkeit und den Rahmen an. Auf einem frei empfangbaren Kanal zur besten Sendezeit Tote zu zeigen, ist absolut unpassend. Wie gesagt, vor dem Hintergrund, daß diese Ereignisse echt sind. Die Schicksale müssen nicht überwiegend bis zu diesem Ausmaß gezeigt werden, eine Beschreibung vom Sprecher reicht vollkommen aus. Ich muß keine zerberstete Umgebung sehen, um mir auszumalen, was dort passiert ist. Ich muß nicht mit der Nase in Blutlachen gestoßen werden, damit mir begreiflich wird, welche Gewalt gewütet hat. Mich nervt es, ständig allen weltpolitischen Schrecken aufgetischt zu bekommen. Wurde einen Abend mal ausgelassen, daß es wieder Tote im Nahen Osten gab? Man könnte meinen, das wäre der Nabel der Welt. Was weiter östlich in Asien vor sich geht, wird selten thematisiert. Mein Universum ist freilich ein weitaus anderes, ein eingeschränktes und glücklicherweise von vielem Schrecken verschontes.
Falconer schrieb:
Menschenverachtende Gewalt zu zelebrieren und zu simulieren ist das zu problematisierende Thema.
Stimmt. Bloß sind von der Technik nachgebaute Menschen und die Rollen der Schauspieler in dem Sinne keine Menschen. Sie stellen sie zwar dar, mir kann aber keiner der beiden Exemplare im Leben über den Weg laufen. Deshalb wird auch niemand verachtet bzw. verachtend dargestellt. Bis jeder Heranwachsende das gedanklich einwandfrei eingeordnet hat, braucht es Einschränkungen in der Zugänglichkeit für gespielte Gewalt.