Warum?
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Es war ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben...
Der gestrige Sonntag, der Tag danach.
Es schien, als wolle er gleich in aller Herrgottsfrüh eine ganze Stadt trösten. München hatte sich schließlich tagelang hübsch rot rausgeputzt, nun trug man Schwarz.
Doch die Welt war in der Nacht des 19. Mai nicht untergegangen, die Sonne am 20. Mai stattdessen tatsächlich wieder aufgegangen.
Auf dem Fröttmaninger Berg oberhalb der Allianz-Arena zerrissen die gewaltigen Rotorblätter der Windkraftanlage in 66 Metern Höhe die Luft - als wolle der gigantische Propeller über dem tragischen Tatort trübe Gedanken vertreiben, als wolle er sagen: Hey, Leute, die Welt dreht sich weiter...
Wo war der legendäre Anspruch?
Doch dieser Kater hatte es einfach in sich. Die Pillendreher vom dreifachen Vizekusen durften sich 2002 wenigstens ordentlich moralisches Aspirin reinpfeifen, schließlich konnte man bei Bayer auch ohne Titel auf eine fantastische Saison jenseits aller Erwartungen blicken. Bei Bayern ist das anders.
Die Erwartungen sind chronisch obligatorisch. Und sie sollten auch dementsprechend immer erfüllt werden. Ein hausgemachter Anspruch, den die Spieler als eingestickte Erinnerung im "Mia san Mia" auf dem Trikot-Kragen tragen.
Die Bayern wurden diesem Anspruch nicht gerecht, obwohl sie im Finale gegen Chelsea berauschenden Offensiv-Fußball geboten hatten. Die miserable Chancenverwertung allerdings war verschwenderischer Luxus, unverständlicher Leichtsinn an der Grenze zu atemberaubendem Unvermögen. 24 zu 6 Torschüsse. Wobei man annehmen muss, dass die UEFA mit dem Zählen schon am Freitag bei Chelseas Abschlusstraining begonnen hatte.
Hätte Schiedsrichter Pedro Proenca am Samstagabend nach 90. Minuten ein 3:0 abgepfiffen, bei Chelsea hätte sich niemand beschwert.
Warum?
Beschweren tun sich die Bayern in der düstersten Stunde der jüngeren Vereinsgeschichte auch nicht. Sie wissen ja, dass sie es selbst verbockt haben. Noch in den nächsten Tagen wird die Spieler ein Wort albtraumhaft heimsuchen: Warum?
Warum wurde diese historische Chance so leichtfertig vergeben? Warum hatten manche Spieler auf dem Höhepunkt der Entscheidung die Hosen voll? "Man kann ja niemanden zwingen, einen Elfmeter zu schießen", stellte Jupp Heynckes später ernüchternd fest. "Mit dem einen oder anderen Spieler habe ich dreimal gesprochen, und wenn er dann sagt: 'Nein, ich traue mir das nicht zu', dann macht es keinen Sinn."
Beachtlich, dass sich Heynckes bei dieser Aussage nicht selbst zensierte, vermittelt sie immerhin einen verstörenden Eindruck vom mentalen Innenleben einiger Bayern-Profis.
"Mia san Mia" war das jedenfalls nicht. Eher ein "Mia san die, die unseren Torwart als dritten Schützen vorschicken". Neuer tat ihnen den seltsamen Gefallen und behielt die Nerven. Doch seit Oli Kahns verbaler Eierei weiß man ohnehin, dass Bayern-Keeper per se zu breiter Beinstellung neigen.
Wanted: Bissiger Jerry
Diese bizarre Randnotiz und das Verhalten einiger Feldspieler hatte auch Uli Hoeneß registriert. "Vielleicht müssen wir uns fragen, ob das die Spieler sind, die das erzwingen. Ob wir davon genug haben. Ich habe keinen Jens Jeremies gesehen, der schon beim Einlaufen den Gegner in die Waden beißt."
Für den Anfang würden es schon mal Spieler tun, die im größten Elfmeterschießen ihrer Karriere einen Elfmeter schießen, anstatt diese Aufgabe auf denjenigen abzuwälzen, der sie zu verhindern hat.
Es ist paradox: Trotz einer tollen Leistung über 120 Minuten verlieren die Bayern ihr selbstverständliches Selbstbewusstsein und ihre größte Chance.
Die Chance ist futsch, den Rest sollten sie schnell wiederfinden. Sonst heißt es bald "Mia san Mia" - aha, wer jetzt genau?
Sportlichst,
Michael Wollny