...und noch ein weiteres Spiel vom Pile of Shame getilgt:
Hellblade: Senua's Sacrifice
Ungeschminkt, ein Spiel ohne Weichspüler. Hellblade ist rauh und brutal, in jeder Hinsicht. Seien es die Psychosen von Protagonistin Senua, die man schon als psychatrisch bezeichnen kann, oder die intensiven Schwertkämpfe gegen riesige Wikingerunholde, von denen man nie weiß ob sie real sind oder tatsächlich nur in Senuas Kopf stattfinden.
Es gibt weder ein HUD, noch ein Display oder gar eine Karte. Hier stören keine Bildanzeigen das Geschehen, was das komplette eintauchen ins Spiel noch effektiver macht.
Es sollte eine Heldenreise werden, aber es endete in einer Hölle aus keltischer und nordischer Mythologie. Durch die Vermischung aus Fiktion und Realismus entsteht ein Spielzenario, wie man es in Videospielen nur selten findet. Allein die Umsetzung der Psychosen, die anhand von verschiedenen Stimmen durch Seanuas Kopf sausen, ist mehr als ein Tabubruch. Sie beleidigen Senua, warnen sie vor Gefahren, ermuntern und erniedrigen sie. Man weiß nie, ob man auf die hören soll oder ob man versucht sie zu ignorieren.
Das wird einem besonders gut mit einem 7.1 Dolby Surround Headset oder einer Heimkinoanlage bewusst, so als ob sie aus dem Gehirn des Spielers selbst zu stammen scheinen.
Als ob das alles noch nicht reichen würde, stellt man Senua vor einige mehr oder weniger knackige Rätselpassagen, die man stets mit einer Kombination aus Logik und ausprobieren lösen kann. Meistens handelt es sich um mehr oder weniger knifflige Rätsel visueller Natur, bei denen man Runen mit der Landschaft abgleichen muss und damit neue Wege freilegt. Das kann auf Dauer zwar etwas nerven, weil sich Rätsel oftmals von der Struktur her ähneln. Aufgelockert werden diese Passagen aber häufig durch die ebenso fordenden Kämpfe.
Das Kampfsystem ist simpel, aber effektiv. Es ist eine bekannte Mischung aus schlagen, blocken und ausweichen mit einer Art Superzeitlupe die aufgeladen werden kann. Dennoch ist es recht fordernd, zumal sich die Entwickler von Ninja Theorie hier eines geschickten Kniffs bedient haben: Senua befällt nach jedem Bildschirmtod eine Seuche, die an ihrem rechten Arm ein Stück mehr emporwächst. Ist die Seuche am Kopf angelangt, stirbt Senua für immer: Game Over, Permadeath!
Zumindest warnt einen das Spiel mit einem Hinweis an einer bestimmten Stelle. Allerdings ist dieser Permadeath ein waschechter Fake: Irgendwann wächst die Seuche nicht mehr weiter und gelangt somit nie an den Kopf. Ich bin auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad unzählige Tode gestorben, konnte aber das Spiel (in ca. 10h) problemlos durchspielen.
Die Kämpfe sind auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad nicht leicht, aber keine Angst, vom Schwierigkeitsgrad eines Dark Souls ist Hellblade weit entfernt.
Wie bereits erwähnt ist die Geräuschkulisse ein absoluter Höhepunkt. Aber nicht nur Senuas Stimmen im Kopf sind ein Highligt, auch die düstere und absolut passende Hintergrundmusik sowie die Sounds bei den Kämpfen sind der Spitzenklasse zuzuordnen.
Die Grafik kann sich ebenso sehen lassen. Auf der PS4 Pro sieht Senuas Gesicht (gespielt von der Deutschen Melina Juergens) sehr realistisch und überzeugend aus. Die Animationen suchen seines gleichen und drücken Sorgen, Zweifel, Furcht und Entsetzen auf imposante Weise aus.
Dazu kommt eine aufwändig gestaltete und handgezeichnete Spielwelt, die meistens zwar schlauchförmig aber auch zweckmäßig für die Handlung der Geschichte ist. Helle und dunkle Passagen mit schönen Lichteffekten wechseln sich ab, die Reise geht durch Sümpfe und Wälder, ans Meer und schließlich nach Helheim, dem Sitz der nordischen Totengöttin Hela, Senuas Ziel. Besonders die Darstellung von Wasser, Feuer sowie das brilliante Spiel mit Schatten wirken sehr realistisch.
So ein extrem intensives Spiel habe ich lange nicht mehr gespielt! Action und Rätsel bestimmen geschickt das jeweilige Tempo, das ausschließlich vom Spiel vorgegeben wird. Trotzdem wird man zu keiner Zeit gedrängt oder an die Hand genommen. Alles ist klar definiert. Ein paar versteckte Dinge kann man ebenso entdecken, wenn man das möchte. Es bleibt also immer noch genug Platz um die Gegend zu erkunden.
Eigentlich das perfekte Spiel, wären da nicht einige kleine Ärgernisse.
Die Runenrätsel hätten durchaus etwas abwechslungsreicher sein können. Denn bei der gefühlt 100sten roten Rune, die man wieder durch ein Rätsel lösen muss, um ein Tor zu öffnen, damit man weiter kommt, befällt einen gelegentlich eine Mixtur aus Langeweile und Frustration. Eine kleine Spielpause kann da etwas Abhilfe schaffen. Das Spiel ist meiner Meinung nach sowieso nichts für Rusher, die das Spiel an einem Tag durchspielen wollen. Dafür wurde diese Intensität, die das Spiel ausstrahlt, nicht gemacht.
Eigentlich vermisst man die fehlenden Bildanzeigen nicht, würde man sich nicht gelegentlich verlaufen. Denn Senuas Lauftempo ist nicht sonderlich hoch und so kann es passieren, dass man schon mal die eine oder andere Minute damit verbringt, den falsch eingeschlagenen Weg wieder zurückzulaufen. Hier hätte ich mir ein paar dezente Hinweise gewünscht.
Zuletzt nerven manchmal plötzlich auftauchnde Gegner, durch die man unvorbereitet sofort einen Hieb kassieren kann. Das kann besonders auf höheren Schwierigkeitsgraden frustrieren, da Senua körperlich nicht allzu viele Treffer wegstecken kann.
Alles in allem ist das aber meckern auf hohem Niveau. Für einen "AAA-Independent-Titel" ist der Mix aus Action-Adventure und Horrorspiel mit überragender Story ein wahres Meisterwerk geworden.
(9,5/10)